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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie
Autoren: Detlef Horster
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Ausübung der Verbindlichkeit, indem man nun dieses verwechselte, so war alles in der Moral falsch. Wenn die Frage ist: was ist sittlich gut oder nicht?, so ist das das Principium der Dijudikation, nach welchem ich die Bonität der Handlung beurteile. Wenn aber die Frage ist: was bewegt mich, diesen Gesetzen gemäß zu leben, so ist das das Principium der Triebfeder. Die Billigkeit der Handlung ist der objektive Grund, aber noch nicht der subjektive Grund. Dasjenige was mich antreibt, das zu tun, worin der Verstand sagt: ich soll es tun, das sind die motiva subjective moventia. Das oberste principium aller moralischen Beurteilung liegt im Verstande und das oberste Principium des moralischen Antriebes, diese Handlung zu tun, liegt im Herzen; diese Triebfeder [25] ist das moralische Gefühl. Dieses Principium der Triebfeder kann nicht mit dem Principio der Beurteilung verwechselt werden. Das Principium der Beurteilung ist die Norm, und das Principium des Antriebes die Triebfeder. Die Triebfeder vertritt nicht die Stelle der Norm. Das hat einen praktischen Fehler, wo die Triebfeder wegfällt, und das hat einen theoretischen Fehler, wo die Beurteilung wegfällt.« (Kant 1924, 44f.)
    Was in dieser Vorlesung noch klar abzugrenzen ist, kann man später kaum noch unterscheiden. Kant hat Motivation und Einsicht in die Richtigkeit der moralischen Pflicht so eng verknüpft, dass die Spezifität der Motivation kaum noch erkennbar war: »Kant war bestrebt, das Faktum der Vernunft, nämlich das
Bewußtsein der Pflicht
, und das
Motiv
, pflichtgemäß zu handeln, so nahe wie möglich aneinander zu binden. Zwar sollte die Einsicht richtig bleiben, nach der man in der Ethik neben dem
objektiven
Beurteilungsprinzip auch noch ein
subjektives
Movens, ein principium executionis, braucht. Zugleich aber sollte diese subjektive Triebfeder so nahe an das Sittengesetz herangerückt werden, daß niemand mehr meinen konnte, es handle sich hier um ein Motiv im gewöhnlichen Sinne.« (Patzig 1996, 42) Das führt dann bisweilen zu der Auffassung, die moralische Überzeugung hätte motivierende Kraft. (Vgl. Ernst 2008, 53 und Garrard/McNaugthon 1998, 45)
    Kant war der erste Philosoph, der die Unterscheidung zwischen Kenntnis und Einsicht in die Richtigkeit der Regel auf der einen Seite und Motivation, die Regel zu befolgen, auf der anderen traf. Zuvor waren die Formen des menschlichen Zusammenlebens so gestaltet, dass es dieser Unterscheidung nicht bedurfte. Für gläubige Christen beispielsweise war die Motivation, moralisch zu handeln, gar kein Problem. Das moralische Handeln war durch den Gehorsam gegenüber Gottes heiligen Geboten motiviert, der auf der Liebe zu Gott, auf der Furcht vor Bestrafung oder der Hoffnung auf Belohnung im Diesseits oder Jenseits basierte. Diese [26] Motivation war zu Kants Zeiten schon zumindest brüchig geworden. Darum musste die Frage nach der moralischen Motivation zu einer die Moralphilosophen bewegenden Frage werden.
    Neben die Kenntnis einer moralischen Regel tritt laut Kant das Motiv, nach dieser Regel handeln zu wollen. Das reicht noch nicht aus. Günther Patzig fasst den gesamten Horizont dessen, was bei moralischem Handeln zu berücksichtigen ist, knapp so zusammen: »Ist es nicht eine schlichte Erfahrungstatsache, daß es nicht ausreicht, die Triftigkeit einer Norm einzusehen, um auch nach ihr zu handeln? Zweifellos ist die Überzeugung von der Richtigkeit einer Norm ein guter Grund, sie zu beachten und entsprechend zu handeln. Aber das reicht nicht als Motivation aus, da Gründe nicht als solche schon Motive sind.« (Patzig 1996, 39) Die Motivation muss demnach hinzutreten. Die Abfolge ist somit folgende: Man lernt zunächst die moralische Regel und fragt sich dann, ob man sie für gut und richtig hält. Auf Basis einer solchen Akzeptanz kann man die Motivation entwickeln, diese Regel zu befolgen.
    Ein Beispiel: Herr X kennt und bejaht die moralische Regel, dass der Schutz menschlichen Lebens unbedingten Vorrang vor anderen möglichen Erwägungen haben muss. Er ist deshalb gegen Abtreibung. Als nun seine Freundin von ihm schwanger wird, fühlt er sich in seinen Lebensplänen so beeinträchtigt, dass er die Freundin zu einer Abtreibung überredet. Wir sehen, dass Regelkenntnis, Regelakzeptanz und die Motivation, einer Regel zu folgen, verschiedene Dinge sind. Herr X handelt in dieser Situation weder nach der moralischen Regel, dass menschliches Leben unbedingt zu schützen sei, noch nach seiner eigenen
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