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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie
Autoren: Detlef Horster
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nicht im Wohlleben, sondern so, daß er die Menschheit nicht entehrt, er muß auch als ein Mensch würdig leben, alles, was ihn darum bringt, macht ihn unfähig zu allem und hebt ihn als einen Menschen auf. […] Es ist die Verletzung der Würde der Menschheit in seiner eigenen Person. […] Die Pflichten gegen sich selbst sind die oberste Bedingung und das Principium aller Sittlichkeit, denn der Wert der Person macht den moralischen Wert aus […]. Wer keinen inneren Wert hat, der hat seine Person weggeworfen und der kann keine Pflicht mehr ausüben.« (Kant 1924, 147–151)
    Die Pflichten gegen sich selbst bezieht Kant ebenso auf die Physis. Demnach darf man mit seinem eigenen Körper nicht machen, was man will: »Der Mensch ist nicht befugt, für Geld seine Gliedmaßen zu verkaufen […] tut nun der Mensch solches, so macht er sich zu einer Sache und dann kann ein jeder mit ihm nach Belieben handeln, weil er seine Person weggeworfen hat.« (Kant 1924, 154) Es ist mithin im kantischen Sinne überhaupt keine diskussionswürdige Frage, ob man sich einem Sadisten zur Verfügung stellen darf, damit er seine Lust befriedigen kann, wie das seinerzeit landesweit angesichts des »Kannibalen von Rothenburg« diskutiert wurde.
Supererogation
    Als Mitglied der moralischen Gemeinschaft hat man moralische Rechte und Pflichten. Sie sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wenn man die Pflicht hat, jemandem, der mit seinem Auto in der Nacht in den Straßengraben geraten ist, zu helfen, hat man in der umgekehrten Situation das moralische Recht, dies von jemand anderem zu fordern. In Analogie hierzu spricht Kant mit Bezug auf die rechtliche Gemeinschaft von der Schuldigkeit (debitum). Tut jemand [30] etwas, was über seine Pflicht hinausgeht, nennt er das verdienstlich (meritum). (Vgl. Einleitung in die Metaphysik der Sitten AB 29) Zu beachten ist bei dieser Parallelisierung freilich, dass das Recht äußerlich zwingt, während der moralische Zwang ein innerlicher ist. Kant jedenfalls geht nicht weiter auf die Möglichkeit ein, dass man die moralischen Pflichten in einem Übermaß erfüllen kann. Dies wird später von anderen Philosophen als Versäumnis angemerkt. (Vgl. Urmson 1958, 207) Auch der Begriff der Supererogation findet sich nicht bei Kant.
    Dieser Begriff geht auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zurück. In Luk 10, 35 der Vulgatafassung der Bibel heißt es: »Curam illius habe, et quodcumque supererogaveris ego cum rediero reddam tibi.« In der Einheitsübersetzung lautet die Anweisung des Samariters an den Wirt: »Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.« Oder man könnte sagen, wie es in der Luther-Bibel von 1912 heißt: »Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.« Wie auch immer, es ist mit »Supererogation« die über das obligate Maß hinausgehende Mehrleistung gemeint. Man könnte demzufolge frei übersetzen: »Sorge für ihn, und wenn du deine Pflicht in einem Übermaß erfüllen wirst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.«
    Es ist vielleicht nicht ganz unwichtig, sich dieses Gleichnis noch einmal zu vergegenwärtigen: »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halb tot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie [31] dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.« (Luk 10, 30–35)
    Der Samariter hat zunächst, im Gegensatz zum Priester und zum Leviten, seine moralische Pflicht erfüllt. Er hat dem Verletzten geholfen. Im umgekehrten Falle hätte er ein moralisches Recht, das Gleiche von anderen Mitgliedern der moralischen Gemeinschaft zu fordern. Auch der Wirt hat die moralische Pflicht, sich weiter um den Verletzten zu kümmern. Beide, der Samariter und der Wirt, könnten zudem etwas über ihre moralische Pflicht Hinausgehendes tun. Das Entscheidende dabei ist, dass die andere
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