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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen
Autoren: Richard Dawkins
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Vorwort
    Ein ausländischer Verleger meines ersten Buches gestand mir einmal, er habe drei Nächte nicht geschlafen, nachdem er es gelesen hatte – weil ihm die Botschaft so kalt und düster vorgekommen sei. Andere fragten mich, wie ich es überhaupt fertig brächte, morgens noch aufzustehen. Ein Lehrer aus einem weit entfernten Land schrieb mir vorwurfsvoll, eine seiner Schülerinnen habe dasselbe Buch gelesen und sei dann in Tränen aufgelöst zu ihm gekommen, weil sie nun überzeugt war, ihr Leben sei leer und sinnlos. Er habe ihr geraten, das Buch nicht ihren Freundinnen zu zeigen, damit diese nicht vom gleichen nihilistischen Pessimismus angesteckt würden. Ähnliche Vorwürfe – öde Trostlosigkeit, trockene, freudlose Inhalte – werden oft ganz allgemein gegen die Naturwissenschaft erhoben, und die Naturwissenschaftler selbst tragen nur allzu leicht dazu bei. Zum Beispiel eröffnet mein Kollege Peter Atkins sein 1984 erschienenes Buch The Second Law :
     
    Wir sind Kinder des Chaos, und Zerfall ist die Voraussetzung allen Wandels. Im Grunde gibt es nur die Auflösung und den unaufhaltsamen Sog des Chaos. Dahin ist jeder Zweck; was bleibt, ist nur die Richtung. Damit müssen wir uns abfinden, wenn wir leidenschaftslos immer tiefer ins Universum vorstoßen.
     
    Aber diese völlig richtige Befreiung von süßlich-falschen Zielen, diese lobenswerte Seelenstärke bei der Entlarvung kosmischer Sentimentalität darf man nicht mit dem Aufgeben der eigenen, persönlichen Hoffnungen verwechseln. Hinter dem Schicksal des Kosmos steht letztlich wahrscheinlich tatsächlich kein Sinn, aber knüpft irgendjemand die Hoffnungen seines Lebens an das Schicksal des Kosmos? Natürlich nicht; das tut kein geistig gesunder Mensch. Unser Leben wird durch alle möglichen näher liegenden, gefühlvolleren, menschlichen Bestrebungen und Wahrnehmungen beherrscht. Der Naturwissenschaft vorzuwerfen, sie nehme dem Leben die Wärme, die es erst lebenswert macht, ist so grotesk falsch, meinem eigenen Empfinden und dem der meisten Naturwissenschaftler so diametral entgegengesetzt, dass mich fast schon die Verzweiflung packt, die man mir fälschlicherweise unterstellt. Mit diesem Buch möchte ich eine positivere Antwort geben und das Wunderbare in der Naturwissenschaft in den Mittelpunkt rücken, denn wenn ich daran denke, was die Kritiker und Nörgler verpassen, werde ich wirklich traurig. Solche Antworten waren eine Stärke des verstorbenen Carl Sagan, und er fehlt uns schon deswegen sehr. Das Gefühl des ehrfürchtigen Staunens, das uns die Naturwissenschaft vermitteln kann, gehört zu den erhabensten Erlebnissen, deren die menschliche Seele fähig ist. Es ist eine tiefe ästhetische Empfindung, gleichrangig mit dem Schönsten, das Dichtung und Musik uns geben können. Es gehört zu den Dingen, die das Leben lebenswert machen, und am meisten gilt das gerade dann, wenn es in uns die Überzeugung weckt, dass unsere Lebenszeit endlich ist.
    Unweaving the Rainbow  1 , der englische Titel des Buches, stammt von Keats, nach dessen Ansicht Newton die Poesie des Regenbogens zerstört hatte, weil er ihn in seine Spektralfarben zerlegte. Ein größerer Irrtum hätte Keats kaum unterlaufen können, und ich möchte alle, die zu ähnlichen Ansichten neigen, vom Gegenteil überzeugen. Naturwissenschaft ist eine Inspiration für große Dichtung oder sollte es zumindest sein, aber ich habe nicht die Begabung, selbst den Nachweis für diese Behauptung zu führen, und muss mich deshalb mit meiner Überzeugungsarbeit auf Prosa beschränken. Aber der aufmerksame Leser wird gewiss die eine oder andere Anspielung auf ihn (und andere) im Text wieder finden. Sie sollen ein Tribut an sein empfindsames Genie sein. Keats besaß eine liebenswürdigere Persönlichkeit als Newton, und sein Schatten sah mir beim Schreiben immer wieder kritisch über die Schulter.
     
    Newtons Entwirrung des Regenbogens führte zur Spektroskopie, und die erwies sich als Schlüssel zu vielem, was wir heute über den Kosmos wissen. Und jedem Poeten, der die Bezeichnung «Romantiker» verdient, muss das Herz im Leibe hüpfen, wenn er das Universum eines Einstein, Hubble oder Hawking betrachtet. Über das Wesen des Universums erfahren wir etwas durch die Fraunhofer-Linien – den «Strichcode in den Sternen» – und ihre Verschiebung im Spektrum. Das Bild des Strichcodes führt uns weiter in die ganz andere, aber ebenso faszinierende Welt des Schalls («Strichcodes in der Luft») und
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