Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
Vom Netzwerk:
Wohnmobil. Das sieht vielleicht schon verdächtig aus.«
    »Kann sein, dass es das war. Aber es kann auch etwas ganz anderes gewesen sein. Vielleicht haben sie ja auch einen Tipp von Jana bekommen und schon auf uns gewartet. Vielleicht wollten sie uns so ein wenig Angst einjagen, bevor sie uns rübergelassen haben. Obwohl wir Jana nie die genauen Fluchtpläne erklärt haben.«
    »Wer ist Jana noch mal?«, fragt Paul.
    »Das erklär ich dir ein anderes Mal«, sagt Astrid.
    »Meine Güte«, meint Paul kopfschüttelnd.
    »Wie auch immer«, sagt Sascha. »Der Grenzer kommt auf meine Seite, lässt sich die Papiere zeigen und will dann den Wagen sehen. Und er hatte einen Hund dabei.«
    Julius wirft seine Kippe in das Gras und tritt sie aus. »Ich habe das natürlich gemerkt und habe gedacht: ›Scheiße, was ist denn jetzt los, wieso halten wir denn so lange?‹ Aber ich lag da im Dunkeln, diese Matratze über mir. Ich habe gar nicht richtig Luft gekriegt.«
    »Der Typ steigt also ein …«, sagt Sascha, und Julius fällt ihm ins Wort und geht noch einen Schritt auf Astrid zu, bleibt dann aber wieder stehen. »Weißt du, was das Schlimmste war?« Er muss lachen, beugt sich vor und stützt sich mit seinen Händen auf den Oberschenkeln ab. Dann guckt er hoch und richtet sich wieder auf. »Die Cowboystiefel. Die mir Sascha auf deinen Rat mitgebracht hatte. Die hatte ich natürlich an, und die hatte ich auch unter der Matratze nicht ausgezogen. Und während ich da lag und ganz flach atmete und versuchte aus den Geräuschen zu deuten, was passierte, musste ich immer an diese Stiefel denken. Ich hatte das Gefühl, dass die Spitzen rausgucken. Aber ich konnte das ja nicht mehr überprüfen, weil mir jetzt schon klar war, dass da jemand in das Wohnmobil kam.«
    Sascha sieht von Julius zu Astrid und öffnet eine imaginäre Tür vor sich. »Der Typ steigt also ein und hat den Hund zum Glück hinter sich. In mir zählte etwas runter, wie bei einem Raketenstart. ›10, 9, 8, 7 …‹ Ich hielt es plötzlich für unmöglich, dass er Julius nicht findet. Aber dann macht es Bam«, Sascha haut die rechte Faust in die linke Hand. »Da knallt der Grenzer mit dem Kopf gegen so einen Vorsprung im Auto und flucht, fuchtelt mit den Armen und tritt zurück. Der Hund jault, und ich spring rückwärts aus dem Wagen. Der Köter und der Grenzer auch. Der Hund bellt mehrmals in diese absolute Dunkelheit, nur unsere Scheinwerfer leuchten nach vorn ins Nichts. Der Ungar reibt sich die Stirn und grinst mich irgendwann gequält an und sagt: ›Go, go.‹ Ich spring also ins Auto und fahre los.«
    Sascha scheint immer noch erleichtert davon zu sein. Er fasst Julius um die Schulter und sagt: »Aber dann ging es ja erst los, Bruderherz, was? Weil, dann fuhren wir ja auf die eigentliche Grenze zu.« Er lässt Julius wieder los und deutet um sich herum. »Es muss da so ausgesehen haben wie hier. Bäume, ein Feld, aber ohne Korn drauf. Nur gepflügte Erde. Etwas weiter dann ein riesiges beleuchtetes Schild. Was stand da drauf, Julius? ›Hungary? Border?‹ Auf Ungarisch, auf Englisch? Ich weiß es nicht mehr. Aber sonst war alles dunkel.«
    »Und es hat geregnet«, sagt Julius. »Schon vorher hat es lange geregnet. Eigentlich die ganze Fahrt über. Ich bin also raus, und die Erde war aufgeweicht. Sascha gab mir noch einen Schlag auf die Schulter, und dann bin ich losgerannt. Auf die Grenze zu. Ab und zu meinte ich etwas zu hören und schmiss mich in den Dreck. Ich war quatschnass nach kurzer Zeit. Die Stiefel blieben immer wieder im Matsch stecken, aber ich habe sie nicht hergegeben. Ich wollte in diesen Cowboystiefeln in den Westen.«
    Astrids linke Hand liegt auf ihrem Hals. Sie sieht Julius an und sagt: »Mensch, wirklich. Das tut mir leid, wenn ich das gewusst hätte.« Aber Julius lacht und sagt: »Da konntest du nun wirklich nichts für. Das war meine eigene Blödheit. Es hat alles viel zu lange gedauert. Ich muss einen Umweg gelaufen sein, aber irgendwann habe ich Lichter gesehen und ein paar Häuser. Nur war ich mir gar nicht mehr sicher, wo ich war. Ob das vor mir ein ungarisches oder ein jugoslawisches Dorf war. Erst als ich die kyrillischen Buchstaben an diesem kleinen Laden gesehen hatte, wusste ich, ich bin in Jugoslawien. Ich habe mich in so ein Bushäuschen gesetzt, mitten in der Nacht, und gewartet, bis Sascha wieder mit dem Wohnmobil kam.«
    Sascha nickt und sagt: »Ich war in der Zwischenzeit die zwei, drei Dörfer abgefahren, die in Frage
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher