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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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liegen sollte. Ich strich mit der Hand über die langen Haare der Ähren, lachte und sagte: »Nimm diese Kompottschale ab, du hast schon ’ne ganz rote Birne.« Jana blies das Netz ein Stück von ihrem Gesicht weg und sagte: »So weit kommt es noch.«
    Ein altes Forsthaus sei das, wo die wohnen. Der Urgroßvater von Julius sei da tatsächlich noch Förster gewesen. Jetzt gehöre es Katharina. Sie nannte Julius’ Mutter immer Katharina, so als wäre sie eine gute Freundin. Aus Berlin seien sie gekommen. Dort sei sie Künstlerin, aber Julius habe keinen Abiturplatz bekommen. Nur den bei der Wasserwirtschaft in Neubrandenburg. Und auch das nur durch eine Eingabe bei der Ministerin. Er habe einen Durchschnitt von 1,1 gehabt. »Ach, brillant ist der.« Als die Ausbildung losging vor drei Jahren, seien sie eben in das Haus gezogen, in dem sie sonst nur die Sommer verbracht hätten.
    »Die haben natürlich ihre Wohnung in Berlin behalten«, sagte Jana, und die Kühle des Waldes tat ihrer Gesichtsfarbe gut. »Wenn du mich fragst, dann wohnt Katharina da auch nur pro forma. Julius ist dauernd allein dort. Ist schon unnormal. Einfach so und mitten im Wald. Der hat überhaupt keine Angst. Ich hatte sogar mit ihm Angst in der Nacht. Das ist da so scheißdunkel, und ein Käuzchen hat geschrien immerzu.« Sie schüttelte sich und hakte mich unter.
    Man sah das Haus zuerst von hinten. Es war nicht besonders groß, ocker mit einem hohen mattroten Dach. Der Weg führte aus dem Wald über eine wilde kleine Wiese, und da stand es beschienen von der Nachmittagssonne, die über dem See hing. Der war klein und rund mit einem grünen Schilfgürtel. Vor dem Haus standen zwei Kastanien, dazwischen ein Ferkel auf einem Spieß, das von einem knatternden Motor langsam gedreht wurde. Es roch gleichermaßen nach Fleisch und Benzin. Zwei Männer in Unterhemden standen davor und sahen uns an. Als wir vorbeigingen, hoben sie wortlos die Bierflaschen.
    Im Garten, der sich zaunlos an das Haus anschloss und der voller alter Bäume und blühendem Flieder war, und auch vor dem Haus saßen Leute in der Sonne auf Handtüchern und in Liegestühlen. Nackt, in Badesachen oder komplett angezogen. Es gab einen Stall aus rotem Backstein, und davor war eine kleine Bühne aufgebaut, hinten links ein Schlagzeug, an dem ein Saxophon lehnte, und ein paar Gitarren standen herum.
    »Das ist Katharinas Atelier«, sagte Jana, und dann deutete sie mit dem Kopf Richtung See: »Und das ist Katharina.« Ein Ruderboot war kurz davor, am Steg vor dem Haus anzulegen. Ein dicker Mann mit einem Vollbart und einer Zigarre im Mund saß an den Rudern. Am Heck des Schiffes sah man einen völlig schwarz gekleideten Jungen in unserem Alter mit einem kahlen Schädel und einer Nickelbrille. Und vorne im Boot stand wie eine Galionsfigur eine schmale Frau, Mitte vierzig. Sie hatte lackschwarze Haare und trug ein weißes Kleid mit Mohnblumen darauf. Ihr Gesicht war durch einen wagenradgroßen Strohhut verdeckt. Sie angelte mit dem Fuß nach dem Steg, erreichte ihn, und dann blieb das Boot stehen und trieb ein bisschen zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Versehen war oder ob der Vollbart am Ruder das extra tat. Katharina wurde auseinandergezogen, wie im Spagat. »Eh, Mensch!«, rief sie, und dann rutschte der Fuß ab und sie landete kopfüber im See. Der Hut schwamm für einen Moment auf der Wasseroberfläche, und Katharina tauchte prustend wieder auf und schrie: »Ach, Scheiße!«
    Klatschnass stieg sie aus dem Wasser. Das Kleid klebte an ihrem Körper, und die Mohnblumen waren dunkelrot und faltig. Sie drehte sich zum Boot um: »Du bist wirklich ein Idiot, Werner«, und dann lief sie zum Haus und schrie lachend: »Jetzt hört auf zu lachen, verdammt noch mal.«
    Jana und ich gingen ihr nach. Die Küche war groß und dunkel. Zwei kleine Fenster, die auf den See gerichtet waren, ließen nur spärliches Licht hinein. Ein schöner alter Bauernschrank stand an der Wand, bemalt mit roten und grünen Ranken. Die Spüle war aus weißem abgewetztem Stein, und in der Mitte stand ein großer dunkelbrauner Tisch mit gedrechselten Beinen. Wir kramten in unseren Rucksäcken, und ich stellte die Flasche Murfatlar, die ich aus dem Keller meiner Eltern geklaut hatte, auf den Tisch. Der war voll mit Brot, Salaten, Obst und Käse. Jemand tauchte plötzlich neben mir auf, es war der schwarz gekleidete Junge aus dem Ruderboot. Er sah mich nicht an, griff nach dem Murfatlar und sagte: »Mhhm,
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