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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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rumänische Kopfschmerzen in der Flasche«, und verschwand wieder. Jana verdrehte die Augen und fummelte immer noch in ihrem Rucksack herum. »Oh, lecker, der Bohnensalat ist aufgegangen, und mein ganzer Schlafsack ist voll.« Sie stellte die Schale mit den grünen Bohnen auf den Tisch. Es roch scharf nach Essig und Zwiebeln. »Na ja, aber wir sind ja nicht zum Schlafen hergekommen. Oder? Jedenfalls nicht in unseren Schlafsäcken.«
    Julius war lange Zeit gar nicht zu sehen, und als er dann erschien, war sein Interesse an Jana doch noch größer als von ihr behauptet. So schien es mir. Er war groß und hatte seine Haare hinterm Kopf zu einem winzigen Zopf gebunden. Sie waren nicht unbedingt frisch gewaschen, und ich musste an die Prozedur mit dem Ei denken und wie es mir über den Kopf gelaufen war. Noch einmal bekam ich eine Gänsehaut. Julius’ Fleischerhemd war weit aufgeknöpft, er trug eine abgeschnittene Jeans und war barfuß. »Mann, da bist du ja«, sagte er, nahm Jana in den Arm und hob sie ein wenig hoch. »Du bist gut. Wir sind schon zwei Stunden hier und stehen uns die Beine in den Bauch. Müssen dauernd irgendwelche wilden Tiere und notgeile Berliner abwehren. Du warst leider nicht zu sehen.«
    Er lachte und sagte: »Ich musste noch Wein holen und Gäste vom Zug.« – »Das ist Assi«, sagte Jana, »also Astrid. Astrid Wolter, meine beste Freundin.« Und Julius sah mich an, ohne Jana loszulassen, und irgendwie erwartete ich, dass er auf mich zutreten und mir die Zähne auseinanderbiegen würde, wie einem Pferd, das man kaufen will. Aber vielleicht täuschte das alles auch, und ich war einfach nur empfindlich und doch schon gefangengenommen von seinen blauen Augen und einer mattbraunen Haut, die aussah, als würde er sie täglich eincremen.
    Julius führte uns zum Schwein, das er gemeinsam mit seiner Mutter unter Applaus anschnitt. Jana und ich nahmen unsere Teller und lehnten uns mit den Rücken an eine der Kastanien und sahen der Sonne dabei zu, wie sie sich langsam der Seeoberfläche näherte. Wir hatten eine Flasche algerischen Cabernet Sauvignon aus der Küche entführt, und den tranken wir zum Schwein. Ich zu wenig, wie Jana meinte: »Tüter dir mal ein bisschen einen an, dann knutscht sich das nachher besser.« Ich lachte und trank trotzdem wenig.
    Die beiden Männer in den Unterhemden, die sich um das Schwein gekümmert hatten, kamen auf uns zu: »Wir fragen uns schon die ganze Zeit, ob ihr beiden Hübschen nicht mal mit uns rudern wollt oder baden?« Die waren mindestens 30. »Nee, danke«, sagte Jana, »wir sitzen hier sehr gut.« Offensichtlich waren sie nicht interessant für uns. Ich fühlte mich wie in einem Theaterstück, aber in einem, in dem nur ich den Text nicht kannte. Und das sagte ich Jana auch.
    »Ach Assi«, sagte sie und erzählte mir, soviel sie wusste über einen, der Regisseur war in Anklam, aber dort eigentlich nur in so einer Art Verbannung lebte, weil er in Berlin nicht mehr inszenieren durfte. Und dass nun das Publikum seinetwegen aus Berlin nach Anklam fuhr. Über zwei, die in einer Punkband spielten, die eigentlich verboten war. Die hatten die Haare tatsächlich mit Zuckerwasser oder was auch immer wie Stachel aufgestellt, und der Kleinere von beiden hatte eine Sicherheitsnadel durch die Backe gestochen. Beide trugen trotz der Hitze schwarze schwere Schnürstiefel. Und dass Katharina Ausstellungsverbot hatte in der ganzen DDR, sagte Jana, und jetzt für verschiedene Theater die Bühnenbilder machte.
    Wir gingen Arm in Arm vor zum See und mit den Füßen in das flache Wasser neben dem Steg. »Julius’ Vater wohnt ja in Hamburg. Der ist abgehauen, als Julius ein Jahr alt war. Durch die Donau geschwommen von Rumänien nach Jugoslawien.« – »Ach«, sagte ich und griff nun doch die Flasche, die neben Janas Beinen baumelte, und nahm einen Schluck. »Und seitdem hat er den nicht mehr gesehen? Oder wie?«
    »Doch, doch, den sieht er jedes Jahr. Schwierige Kiste, wenn du mich fragst, und Katharina fragst du besser gar nicht nach dem Erzeuger, dann geht die nämlich direkt die Wand hoch.« Jana lachte und schüttelte eine Hand in Halshöhe. »Aber es gibt noch einen Bruder, also Halbbruder. Sascha, zwei Jahre jünger als Julius. Den trifft er immer bei der Oma in Wittenberge.« Sie deutete auf das Haus und sagte: »Der hat hier wohl auch Hausverbot. Hat den falschen Vater. Oder die falsche Mutter. Wie man’s nimmt. Sippenhaft, würde ich mal sagen.«
    Wir standen dann alle
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