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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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Viel lieber hätte ich ihm irgendetwas Passendes geantwortet. Etwas Rotziges, so wie Jana das gemacht hätte.
    Ich lief den beiden Frauen in die Arme, die mir gegenübergesessen hatten. Sie hakten mich unter, und eine sagte: »Nun mal langsam mit den jungen Pferden.« Die Kleinere mit den kurzen Haaren sagte: »Ein schönes Kleid hattest du an vorhin.«
    »Ja, das ist von meiner Oma. Ich habe es umgenäht«, antwortete ich, und beinah hätte ich angefangen zu heulen. Wir setzten uns unter eine der Kastanien. Die beiden erzählten mir, dass sie mit Katharina studiert hätten, aber jetzt nur noch sie Kunst machen würde. »Hannah ist bei der Zeitung, und ich bin Lehrerin geworden«, sagte die Größere. »Und Piratin bin ich auch nur hier.«
    Sie fragten mich ein bisschen aus nach meinen Eltern und Jana und wie ich hierher gekommen wäre. Und ich fragte nach Julius’ Vater, und Hannah sagte: »Das war einer, dem du dein Herz gibst, und du weißt, da macht der Hackfleisch draus, und du gibst es ihm trotzdem.« Sie sah dabei über den See, so als hätte sie ihm ihr Herz auch gegeben, ohne zu zögern.
    Es wurde schon wieder hell, und die beiden gingen schlafen. Ich wusste ja gar nicht, wo ich schlafen sollte, und ich wollte auch noch nicht, dass dieses Sommerfest vorüber war. Weder Jana noch Julius waren zu sehen. Es waren nur noch wenige der Gäste wach. Ich setzte mich vorne auf den Steg und hielt die Füße in das kalte Wasser.
    Eine Weile saß ich da, und dann kam Julius mit Jana im Arm. Sie sah völlig verheult aus und trug diesen albernen Hut in der Hand. »Das ist ein Idiot, Jana«, sagte Julius. »Der war gerade beim Poetenseminar in Schwerin, und jetzt glaubt er, er wäre Heiner Müller.« Sie setzten sich neben mich. Jeder auf eine Seite. Es wurde langsam heller, und die Vögel sangen wie verrückt. Jana stand plötzlich auf, küsste mich auf die Wange und rannte dann Richtung Haus. Julius sah ihr nach, und ich legte ihm die Hand auf den Oberschenkel und sagte: »Lass die mal. Manchmal kann man ihr nicht helfen.«
    Die Sonne stieg langsam höher hinter dem Haus. Irgendjemand riss noch einmal die Anlage auf, und »The passenger« erklang zum hundertsten Mal und wurde nach wenigen Takten wieder abgewürgt. Katharina rief: »Jetzt ist dann mal Schluss, Leute. Wenigstens mit der Musike.« Julius und ich sahen auf den kleinen wellenlosen See. Meine Arme und Beine waren komplett von Mücken zerstochen, aber die Morgensonne wärmte uns schon den Rücken, und dann griff er nach meiner Hand.

Hotel Gellért
    Astrid erwacht langsam. Sie taucht nicht auf wie aus dem Wasser, wenn es schnell hell wird und die Konturen werden klar. Ihre Augen bleiben zu, und während sie sich langsam spürt, ihren Körper spürt, ihre Beine, dass sie sitzt, denkt sie, dass sie so seit Jahren schon nicht mehr aufgewacht ist. So langsam und zart. Es brummt. Das Auto, der Zug? Nein, ein Flugzeug. Ihre Hände umfassen die Sitzlehnen. Sie ist auf dem Weg nach Budapest, und zum ersten Mal freut sie sich richtig über diesen Urlaub, den ihr Paul geschenkt hat, der neben ihr sitzt, rechts neben ihr. Sie braucht nur die Augen zu öffnen, den Kopf zu drehen, und dann sitzt er da.
    Vielleicht liest er, vielleicht guckt er aus dem kleinen runden Fenster oder er hört Musik. Astrid hofft, dass er nicht schläft, mit offenem Mund oder nach vorn gefallenem Kopf. Wer sieht dabei schon vorteilhaft aus? Ob sie selber geschnarcht hat? Sie schiebt den Gedanken beiseite und muss an ihre Freundin Vera denken, die gesagt hatte: »Kein direkt schöner Mann, aber er hat was.« Astrid lächelt und denkt an diesen ersten gemeinsamen Abend in einem französischen Restaurant im Prenzlauer Berg. Paul hat die wenigen Haare kurz geschoren und ein paar Kilo zu viel. Seine Hände sind groß und weich wie die eines Kindes. Er ist nur wenige Zentimeter größer als Astrid.
    Sie öffnet die Augen, und Paul sieht sie direkt an. »Du hast gelächelt im Schlaf«, sagt er. Im kleinen runden Fenster neben ihm ist nur das kräftige helle Blau des Himmels zu sehen, und Astrid ist erstaunt, dass Pauls Augen damit konkurrieren können. Sie dreht sich in ihrem Sessel zu ihm, schiebt die Armlehne hoch und legt die Knie auf den freien Sitz zwischen ihnen: »Und du so?« – »Ich würde gern rauchen«, sagt Paul. »Beim Fliegen ist es immer schlimm. Weißt du noch, wie man vor ein paar Jahren in Flugzeugen rauchen durfte? Bis Reihe fünfzehn war Nichtraucher, und dahinter konnte gequarzt
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