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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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bin als am Abend, aber ich griff nach dem Glas und stieß mit Jana an.
    »Ich weiß, dass du stellvertretende Leiterin des Herzkatheterlabors bist in Berlin-Schöneberg, und kenne die Titel der Vorträge, die du in den letzten Jahren so gehalten hast. Dass du wirklich Ärztin geworden bist, Assi. Toll, Mensch.«
    »Wieso? Hattest du daran gezweifelt?«
    Sie prostete noch einmal zu mir rüber und sagte dann: »Nein, ich hab dir das immer zugetraut. Bei mir hat es nur zur Casting-Agentur gereicht, und darüber sollte ich eigentlich auch noch froh sein nach diesen vertanen neunziger Jahren.« Sie sah bei diesem Satz über den Tisch und hinaus aus dem Fenster, und ich stand auf, um mir den Mantel auszuziehen. Mir war heiß. Durch den Mantel, den Prosecco und durch Jana. Ich warf ihn über die Sessellehne und sah bei einem schnellen Blick aus dem Fenster Vera im Fenster des »Schleusenwärters« sitzen und in einer Zeitschrift blättern.
    Auf einem weißen Sideboard an der Wand standen mehrere Fotorahmen. Ein junges Mädchen mit rotgefärbten Haaren und einem Ring durch die rechte Augenbraue. »Annabelle?«, fragte ich, und Jana brummte zustimmend. Auf dem zweiten Foto lehnte ihr Kopf auf der Schulter des Mädchens. Jana hatte die Augen geschlossen, und Anabelle umfasste sie an der Schulter, guckte direkt in die Kamera, mit dem Blick ihrer Mutter von vor zwanzig Jahren. Im dritten Bilderrahmen saß Jana in einer Lederjacke und im Schneidersitz auf einer Harley-Davidson, und ein bärtiger Typ mit Bauchansatz und einem roten Tuch um den Hals guckte sie über den Rand seiner Sonnenbrille an. Ich deutete auf das Bild, und sie lachte: »Bernd, mein … also mit dem lebe ich.« Für einen Moment war ich erstaunt, dass Jana mit jemandem zusammenlebte, der Bernd hieß. »Hells Angel?«, fragte ich.
    »Nee, Softwareentwickler.«
    »Annabelles Vater?«
    »Assi, glaubst du wirklich, ich würde mit dem Vater von Annabelle zusammenleben? Seit sechzehn Jahren?« Sie schlug mit der flachen Hand auf das Sofa neben sich. »Jetzt setz dich endlich wieder. Annabelles Vater war ein völlig durchgeknallter Schauspieler, von dem ich seit zehn Jahren nichts gehört habe. Und Annabelle auch nicht. Ein guter Typ eigentlich. Aber du weißt ja … Na ja.«
    Ich setzte mich wieder, und Jana verstummte. Sie sah in ihr Proseccoglas. »Und du und Tobi? Also Tobias. Hast du den geheiratet, und ist das der Vater deiner Tochter?«
    »Ja, ist er, und der Vater meines Sohnes auch. Samuel.« Ich griff nach der Flasche und goss uns beiden nach. Ich erzählte ihr von den Kindern und von der Scheidung vor zwei Jahren, und dass ich seitdem allein wäre. Mit einem merkwürdigen Gefühl von Stolz erzählte ich ihr auch von der trostlosen Affäre mit einem englischen Arzt, der für zwei Jahre auf unserer Station arbeitete, und an dieses halbe Jahr wurde ich wirklich nicht gern erinnert.
    »Manchmal komme ich mir vor, als wären Frauen über vierzig durchsichtig und würden überhaupt nicht wahrgenommen. Als würden die Kerle durch mich durchgucken«, sagte ich. Jana steckte sich eine Zigarette an, ging vor zum Fenster und öffnete es weit. Sie lehnte sich an den Rahmen, und ich fragte mich, ob Vera sie jetzt sehen würde. Jana blies den Rauch raus in den Nieselregen und sagte: »Ja, das kenn ich. Vor den ganzen jungen Hühnern habe ich gar keine Angst. Die Anfang Dreißigjährigen, Assi, die sind viel gefährlicher. Die sind so schlau wie wir, aber straffer im Bindegewebe.« Sie ließ das Fenster weit offen stehen und setzte sich wieder in ihren Sessel.
    Wir redeten über das Krankenhaus und Janas Arbeit in der Agentur. Über Tobias und Bernd. Nach einer Weile öffnete Jana die zweite Flasche Prosecco, und ich protestierte nicht. Wir mieden die alten Zeiten und tranken.
    Irgendwann sagte Jana wie nebenbei: »Du hättest eben doch Julius nehmen sollen«, und danach war es still, nur für Sekunden, aber mir kam das unendlich lang vor, bis ich dann sagte: »Hast du den mal gesehen? Er lebt doch wohl auch in Hamburg?«
    »Da hat aber jemand fleißig gegoogelt. Ja, der lebt auch in Hamburg, aber wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    Inzwischen rauchte Jana direkt am Tisch und drückte die Kippen auf dem Teller aus, auf dem vorher die Erdnüsse gelegen hatten. Ich griff nach der gelben Schachtel American Spirit und fummelte mir auch eine heraus. Ich hatte seit Jahren nicht mehr geraucht, und als ich sie mir anzündete, bekam ich Rauch in die Augen und musste
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