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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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jedenfalls nicht die Erste. Aber dich scheint der Julius ja auch sehr zu mögen.«
    »Sascha ist eine Plapperschnauze. Oder wie nennt ihr das?«, sagt Margarete und nimmt ihre Brille wieder ab. Sie putzt sie mit dem unteren Rand des lila T-Shirts. Astrid sieht dabei die Muskeln an ihrem schmalen Unterarm arbeiten und die feinen weißen Härchen auf der braunen Haut. Sie unterdrückt das Bedürfnis, darüberzustreichen. Margarete setzt die Brille auf und rüttelt an den Geländerstäben wie an einem Käfig.
    »Ja, aber es stimmt. Vielleicht mag er mich sogar. Er ist ein wunderbarer Mann. Mein Herz schlägt für ihn. Mehr, als mir lieb ist.«
    Jetzt berührt Astrid Margaretes Arm doch mit dem Handrücken. »Dein Herz«, sagt sie, »ist wirklich ein treuer Freund. Glaub mir das. Ein fleißiger großer Muskel ist das, der bis zu deinem Tod ununterbrochen arbeitet. Schon vor deiner Geburt. Jede Sekunde, ohne Pause.«
    Sie sieht Margarete an und muss fast lachen, weil die sich ihre Brille zu weit nach vorne gesetzt hat und so ein wenig von unten guckt und auch die Nase kraus zieht. Astrid öffnet und schließt ihre rechte Hand, immer wieder und sieht darauf.
    »Sechzig Mal in der Minute schlägt dein Herz so. 24 Stunden lang. 365 Tage im Jahr. Und wenn du achtzig Jahre alt wirst, dann hat dein Herz etwa drei Milliarden Mal geschlagen und das Blut durch deinen Körper geschickt.« Margarete sieht sie jetzt fast ausdruckslos an, aber Astrid öffnet und schließt weiter ihre Hand.
    »Und da reden wir nicht über Situationen wie jetzt, wo du in diesen Kerl da drinnen verknallt bist und dein Herz vermutlich viel schneller schlägt. Oder wenn du einfach die Treppen hochrennst oder wenn du krank bist, rauchst, zu viel Alkohol trinkst.« Sie hört auf, mit ihrer Hand zu pumpen.
    »Gut, wenn du schläfst, dann schlägt es auch mal etwas langsamer, aber was ich meine, ist: Dein Herz schlägt für dich. Wo auch immer diese Liebe entstehen mag, die dich und vielleicht auch Julius Herne ergriffen hat. Dein Herz versucht das alles nur auszugleichen. Es schlägt für dich. Nur für dich. Verstehst du, was ich meine?«
    »Eigentlich nicht«, sagt Margarete, löst ihre Hände von den Stäben und legt sich rücklings auf den Fußboden. Sie sieht an Astrid vorbei in das hellblaue Rechteck des Budapester Frühlingshimmels.
    »Das habe ich befürchtet«, sagt Astrid.

Nieselregen
    Die Bluse sah unmöglich aus. Sie saß mir viel zu eng auf der Hüfte, und meine Arme wirkten wie an den Körper geschraubt. Das kräftige Grün gab meinem Gesicht eine Farbe, als wäre ich seit Tagen krank. Ich drehte mich unschlüssig vor dem großen Spiegel, der neben dem Bett hing. Vera hatte dieses kleine Hotel in Hamburg-St. Georg gebucht. Wir waren vom Bahnhof aus hierher gelaufen, vorbei am Schauspielhaus und durch eine Straße, die »Schulterblatt« hieß, was mir schon sehr gefiel.
    In einer der vielen kleinen portugiesischen Bars, die die Straße säumten, bestellten wir einen Galao, und zumindest regnete es nicht, sodass wir draußen auf einem Barhocker sitzen konnten. Vera sah missmutig in den bewölkten Himmel und sagte: »Was willst’ erwarten, wenn du im Oktober nach Hamburg fährst. Schietwetter, dabei hätte uns ein bisschen Sonne auch nicht geschadet.« Sie war nicht weit von hier, in Itzehoe, aufgewachsen und fühlte sich für das Wetter mitverantwortlich.
    Ich drehte mich in dieser giftgrünen Bluse ratlos vor dem Spiegel. Den dunkelroten Strickrock, den Vera in ihrer Lieblingsboutique in Berlin ohne mein Wissen für mich gekauft hatte, wollte ich gar nicht erst anprobieren. Ich tat es dann doch und sah endgültig zum Schießen aus. Wie eine farbenblinde Vierzehnjährige. Vera kam in diesem Moment aus dem Bad, sah mich, klatschte in die Hände und sagte: »Du siehst wunderbar aus.« Ich guckte zurück in den Spiegel und sah eine Anfang Vierzigjährige, die mir völlig fremd war. »Ich bin das nicht, liebe Vera«.
    »Ach, komm, bitte. Behalte das an. Du siehst super aus. Endlich mal ein bisschen feminin.« Sie deutete mit dem Kopf auf meine ausgezogene Jeans. »In der sahst du aus, als hätten wir uns zum Angeln verabredet.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, holte tief Luft, doch bevor ich etwas sagen konnte, sagte Vera: »Du siehst eigentlich immer aus, als wenn du gerade zum Angeln verabredet bist. Allerhöchstens zum Reiten. Aber die Männer stehen nicht so auf Pferdemädchen in Jeans und Pulli. Das kannst du mir glauben.«
    Ich sah
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