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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre
Autoren: Gregor Sander
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Winterhude gehört, und der will, dass wir möglichst schnell ausziehen, dem gehören allein in Hamburg 140 Häuser. Und in ganz Deutschland was weiß ich wie viele. Weißt du, womit der sein Geld gemacht hat? Ich werd es dir sagen …«
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und jemand betrat die Wohnung. »Bella?«, fragte Jana über die Schulter.
    »Nenn mich nicht Bella«, antwortete es aus dem Flur, und dann betrat ihre Tochter das Zimmer. Sie trug fliederfarbene Socken, aber sonst war alles schwarz an ihr. Die Hose, das Shirt, und auch ihre hochgesteckten Haare waren nicht mehr metallicrot, sondern pechschwarz. Sie sah mich kurz an und dann auf das offene Fenster. »Hier stinkt’s.«
    »Ja, wir feiern ein bisschen unser Wiedersehen. Das ist Astrid, weißt du, meine Assi aus Neubrandenburg.«
    »Hallo«, sagte Annabelle und deutete ein Lächeln an. Dann drehte sie sich um und verschwand wieder. »Willst du auch ein Glas Prosecco?«, fragte Jana, aber ihre Tochter antwortete nicht. Sie lief ihr hinterher und klopfte an eine Tür. Jana sagte mit leiser Stimme etwas, das ich nicht verstehen konnte, und kam mit Annabelle im Arm und einer weiteren Flasche zurück. »Ich hab keine Kalte mehr, aber ist ja jetzt auch egal«, sagte sie, und ich wollte antworten, dass ich nichts mehr trinken kann, aber stattdessen blieb ich still, und Jana setzte sich neben mich auf das Sofa. Annabelle sah mich schüchtern vom Sessel aus an. Sie hatte sich auf ihre Handflächen gesetzt und wippte leicht vor und zurück: »Mama hat mir erzählt, dass du Ärztin bist. Das würde ich auch gern werden.« Ihre Zahnspange blitzte auf, und sie sah plötzlich ganz kindlich aus. Sie hatte die Augen ihrer Mutter und auch deren leicht nach innen gewölbte Stirn.
    Ich konnte Janas Parfüm riechen, das mir fremd war, aber sie war mir überhaupt nicht fremd, und sie umarmte mich und sagte: »Mensch, Assi, dass du da bist.« Plötzlich sprang sie wieder auf, goss ihrer Tochter und uns Prosecco ein, und dann sahen wir uns einen ganzen Karton Bilder an von Formentera, wo sie gelebt hatten, als Annabelle ein Baby war. Mit Ted, der eigentlich Theodor hieß und der Vater war. Er war groß und hatte lange braune lockige Haare und ein Grungebärtchen.
    Ich heulte, als ich später die Treppen runterging, und ich heulte auch noch im Taxi. Mir war übel vom vielen Trinken, und ich hatte auch Angst, ins Auto zu kotzen. »Alles klar?«, fragte der Fahrer und sah mich durch den Rückspiegel an. »Ja, alles klar«, sagte ich und heulte weiter.
    Vera lag im Hotel auf dem Bett und las in einer Zeitung. »In Stuttgart haben 150 000 Menschen gegen diesen Bahnhof demonstriert. Wahnsinn«, sagte sie und sah dann von der Zeitung auf: »Ach du Scheiße, du siehst ja furchtbar aus. Mir hat das da zu lange gedauert mit euch. Wie war es denn?«
    Ich ließ mich einfach aufs Bett fallen mit dem Gesicht in die kühlen weichen Kissen. Dann drehte ich langsam den Kopf zur Seite und strich über Veras Babybauch und fing wieder zu weinen an.
    »Schön«, sagte ich. »Fast wie früher.«

Novi Sad
    Paul dreht sich im Beifahrersitz so, dass er Margarete am Steuer sehen kann, aber auch die Rückbank des Autos, auf der Astrid sitzt, eingeklemmt zwischen Julius und Sascha. Margarete redet sich neben ihm in Rage über die Fideszpartei, und jetzt antwortet ihr Mann Józef von hinten auf Ungarisch. Man kann ihn nicht sehen, weil er auf der Ladefläche des VW-Passat liegt. Er ist von hinten hineingeklettert und hat sich zusammengerollt wie ein Hund.
    »Was sagt er?«, fragt Paul Margarete, die ihn kurz ansieht und dann den Blick wieder nach vorn auf die Autobahn wendet. »Ach, er sagt, ich soll mein Heimatland nicht in den Schmutz ziehen. Er geht mir auf die Nerven. Józef ist ein großer Fideszkritiker und Heimatromantiker zugleich.« Dann ist sie still, und auch von ihrem Mann ist nichts mehr zu hören.
    Es war Pauls Idee gewesen, an die serbische Grenze zu fahren und sich die Stelle anzusehen, wo Julius damals geflohen war. Die beiden Ungarn waren schnell davon begeistert gewesen. »Das wusste ich gar nicht, dass du abgehauen bist«, sagte Margarete und boxte Julius auf den Oberarm. Auch Sascha fand die Idee gut. »Ich war da nie wieder.« Er sah seinen Bruder an und sagte: »Hattest du je das Bedürfnis, da wieder hinzufahren?« Julius schüttelte den Kopf und machte deutlich, dass er es für Zeitverschwendung hielt.
    Astrid war natürlich dagegen gewesen und hatte in einem unbemerkten
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