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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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Du wirst vulgärer, je älter du wirst. Ich kann dieses gemeine, verkürzte –»
    «Wo ist dein Drink?»
    «Ich möchte keinen Drink», sagte sie gereizt. Er stand direkt vor ihr und verdeckte den Raum. Es war ein Zögern in seinem Blick. Er hatte sie gehört, sich gehört, und es tat ihm leid. Sie konnte das sehen, und es tat ihr selber leid, daß sie ihn so scharf angeredet hatte. Einen Augenblick starrten sie sich an. «Dieser Knopf ist lose», sagte sie und berührte sein Jackett. «Ich werde etwas fürdich organisieren …», sagte er, aber er bewegte sich nicht von der Stelle. Sie hatten etwas abgewehrt, was gewöhnlich war; sie hatten gefühlt, wie zwischen ihnen die Kraft von etwas Ursprünglichem, Unbekanntem aufblitzte. Als sie versuchte, es zu benennen, löste es sich auf, und er ließ sie plötzlich in dem Augenblick stehen, als sie vergessen hatte, an was sie sich zu erinnern versuchte. Sie drückte ihre Hand gegen die Wandtäfelung. Sie sah aus wie eine Tarantel. Ihre Haut prickelte. Tollwut … noch nie hat jemand die Tollwut bekommen, mit Ausnahme irgendeines Südstaatenjungen vom Land.
    «Sophie, komm her», sagte Mike und führte sie die Treppen hinauf und in ein großes Schlafzimmer. Ein griechischer Hirtenteppich diente als Bettdecke; ein mexikanisches Pferd aus Ton stand vor dem Kamin. Auf einem der Nachtkästchen stapelten sich Krimis in billigen Bonbonpapierumschlägen.
    «Wer liest die denn? Du oder Flo?»
    «Ich», erwiderte er und seufzte und sah dabei sympathisch aus. «Sie sind das Richtige für mich. Sie gehen rücksichtslos über das hinweg, womit ich lebe: Potente Männer, zitternde Frauen … die Struktur eines Mörders, säuberlich ausgebreitet wie der Inhalt eines Kinder-Federmäppchens.»
    «Du liest nicht die richtigen.»
    «Die neuen sind die alten. Die falsche Komplexität ist nur eine andere Art von Federmäppchen.»
    «Was wird passieren?» brach es aus ihr hervor. «Alles geht zur Hölle –»
    «Setz dich einen Moment hin und sei still! Ich möchte ein paar Ärzte anrufen, mal schauen, ob ich einen erwische. Es ist auf jeden Fall ein ungünstiger Abend.»
    Er saß auf der Bettkante und wählte, ein Adreßbuch fest in einer Hand, den Hörer zwischen Hals und Schultergeklemmt. Sie hörte ihn mehrere Male sprechen, doch sie achtete nicht auf das, was er sagte. Sie wanderte im Zimmer umher. Ein grünseidener Morgenrock war über eine Chaiselongue geworfen. Auf dem Kaminsims standen ein paar präkolumbianische Statuetten, die mit leerer Bosheit auf die Wand gegenüber starrten und merkwürdigerweise so aussahen, als befänden sie sich außerhalb des Zimmers, seien aber im Begriff, hineinzustürmen und es zu plündern.
    «Immer bloß der Anrufbeantworter», sagte Mike und legte den Hörer auf. «Es hat kaum einen Sinn, unsere Nummer zu hinterlassen. Hör zu, ich will, daß du ins Krankenhaus gehst. Es ist sechs Blocks von hier, und sie haben eine Notaufnahme, die nicht schlecht ist. Sie bringen dich in Ordnung, und du wirst eine ruhige Nacht haben.»
    «Hast du gewußt,» hob sie an, «daß Cervantes in die Neue Welt wollte, nach Neuspanien, und daß der König über seinen Antrag schrieb: ‹Nein, sagt ihm, er soll sich hier irgendwo einen Job suchen›? Ist das nicht eine lustige Geschichte?»
    Er beobachtete sie, ohne sich zu bewegen, mit leicht gefalteten Händen, die Schultern gekrümmt – in dieser Haltung hört er wohl seinen Patienten zu, dachte sie, als würde er gleich einen Schlag auf den Rücken bekommen.
    «Bloß eine Geschichte …»
    «Was ist los?»
    «Ich wollte, ich wäre Jüdin», sagte sie. «Dann würde ich, wenn ich sterbe, als Jüdin sterben.»
    «Du wirst als Protestantin sterben.»
    «Davon gibt es kaum noch welche.»
    «Dann als Nichtjüdin. Ich habe dich gefragt, was los ist. Arbeitest du an irgend etwas?»
    «Ich will nicht arbeiten; es erscheint mir sinnlos. Es gibt so viele, die besser sind als ich. Man hat mir einen Romanzum Übersetzen geschickt, aber ich konnte ihn nicht verstehen, nicht einmal auf Französisch. Er hat mich einfach irritiert. Und ich muß ja nicht unbedingt arbeiten.» «Rezitier mir ein bißchen Baudelaire», sagte er.
    «
Je suis comme le roi d’un pays pluvieux,
Riche, mais impuissant, jeune et pourtant très vieux –»
    Sie unterbrach sich lachend. «O mein Gott, es gefällt dir. Du solltest dein Gesicht sehen! Warte! Hier!» und sie schnappte sich einen Handspiegel, der auf der Kommode lag, und hielt ihn vor sein Gesicht.
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