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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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seines Verlegers, der desaströse kommerzielle Misserfolg seines besten und ambitioniertesten Werks, die angebliche Geisteskrankheit (seine Melancholie, seine
Depression
) und schließlich der Rückzug ins Schreiben ausschließlich für sich selbst.
    Bei der Lektüre von Melvilles Biographie wünschte ich mir, er hätte ein Vorbild gekannt von einem wie ihm selbst aus einem früheren Jahrhundert, damit er den Fluch als weniger singulär empfunden hätte. Auch wünschte ich, er hätte sich während all seiner Mühen, Lizzie und die Kinder zu ernähren, sagen können: Ach, wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich doch immer noch Schreibkurse geben. Zuseinen Lebzeiten verdiente Melville an seinen Büchern ungefähr 10.500 Dollar. Nicht einmal heute läuft es für ihn besser. Auf dem Titelblatt des zweiten Bandes von Melvilles gesammelten Werken in der ersten Auflage stand, in der Library of America, in 24-Punkt-Auszeichnungsschrift der Name HERMAN MEVILLE.
    Vergangenen Sommer, als ich begann, mich mit der amerikanischen Geschichte vertraut zu machen, und mit Lesenden und Schreibenden sprach und über den Heath’schen «sozial Isolierten» nachdachte, reifte in mir die Erkenntnis, dass meine Befindlichkeit keine Krankheit, sondern eine Wesensart war. Wie konnte ich mich denn
nicht
entfremdet fühlen? Schließlich war ich ein
Lesender
. Meine Wesensart hatte die ganze Zeit auf mich gewartet, und nun hieß sie mich willkommen. Auf einmal wurde mir bewusst, wie ungeheuer hungrig ich danach war, eine imaginierte Welt zu erschaffen und zu bewohnen. Der Hunger war wie eine Einsamkeit, an der ich langsam starb. Wie konnte ich nur glauben, ich müsste mich heilen, um in die «wirkliche» Welt zu passen? Ich brauchte keine Heilung, und die Welt brauchte auch keine; das Einzige, was der Heilung bedurfte, war mein Verständnis von meinem Platz in ihr. Ohne dieses Verständnis – ohne das Wissen, der wirklichen Welt
anzugehören
– war es unmöglich, in einer imaginierten Welt zu funktionieren.
    Im Zentrum meines Verzweifelns am Zustand des Romans hatte das gestanden: ein Konflikt zwischen einem «Stelle dich endlich der Kultur und bereichere den Mainstream»-Gefühl und meinem Wunsch, über mir besonders am Herzen liegende Dinge zu schreiben, mich in die Figuren und Orte, die ich liebte, zu verlieren. Schreiben, aber auch Lesen waren zu einer grimmigen Pflicht geworden, und bedenkt man die jämmerliche Bezahlung, gibt es wirklich keinen Grund, das eine wie das andere zu tun, wenn man keinen Spaß daran hat. Sobald ich meine vermeintlicheVerpflichtung gegenüber der Chimäre Mainstream über Bord geworfen hatte, ging es mit meinem dritten Buch wieder voran. Heute bin ich verblüfft darüber, dass ich mir so lange so wenig zugetraut habe, dass ich einem so erdrückenden Zwang erlegen bin, ausdrücklich gegen all die Kräfte anzugehen, die das Vergnügen am Lesen und Schreiben ausmachen: als hätte ich, indem ich meine kleine Gegenwelt bevölkerte und ausstaffierte, das größere Gesellschaftsbild außer Acht lassen können, selbst wenn ich es gewollt hätte.
    Während ich über all das grübelte, kam ein Brief von Don DeLillo, dem ich in meiner Not geschrieben hatte. Hier ein Auszug aus dem, was er mir antwortete:
    Der Roman ist das, was Romanautoren zu einer bestimmten Zeit schreiben. Wenn wir den großen Gesellschaftsroman nicht innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre schreiben, bedeutet das möglicherweise, dass sich unsere Sicht der Dinge in einer Weise verändert hat, die eine solche Arbeit für uns weniger zwingend sein lässt – wir hören aber nicht auf zu schreiben, weil der Markt ausgetrocknet ist. Der Schriftsteller folgt nicht, er führt. Die Dynamik hängt nicht etwa von der Größe des Publikums ab, sondern von der Einstellung des Schriftstellers. Und wenn der Gesellschaftsroman – sei es auf Sparflamme – lebt, wenn er in den Ritzen und Nischen der Kultur überdauert, wird er vielleicht ernster genommen: als ein gefährdetes Spektakel. Ein reduzierter Kontext, aber einer, der intensiver ist. Schreiben ist eine Form persönlicher Freiheit. Es befreit uns von der Massenidentität, die wir um uns herum entstehen sehen. Letztlich werden Schriftsteller nicht schreiben, um geächtete Helden irgendeiner Subkultur zu sein, sondern vor allem, um sich selbst zu retten, um als Individuen zu bestehen.
    DeLillo schrieb noch ein Postskriptum: «Wenn ernsthaftes Lesen gegen null geht, heißt das wahrscheinlich, dass das,
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