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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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schaute dann aber trotzdem hin. Ohne Ton wurde der Ausschnitt von
E!
zu einer Enthüllung der Hydraulik falschen Lächelns. Er bescherte mir eine Epiphanie des Nichtauthentischen und weckte in mir den Appetit auf die ungezwungenen Emotionen einer Literatur, die nicht versucht, mir etwas anzudrehen. Auf meinem Schoß lag aufgeschlagen Janet Frames Roman über ein Irrenhaus,
Gesichter im Wasser
: keine schöntuerischen, dafür seltsam treffende Sätze, an denen mein Blick erst haften blieb, als der stumme Bildschirm vor mir nach zweieinhalb Stunden endlich schwarz wurde.
    Arme Noeline, die darauf wartete, dass Dr. Howell ihr einen Antrag machte, obwohl die einzigen Worte, die er je an sie gerichtet hatte, die waren: Wie geht es Ihnen? Wissen Sie, wo Sie sind? Wissen Sie, warum Sie hier sind? – Sätze, die sich unter normalen Umständen schwerlich als Beweis von Zuneigung verstehen ließen. Doch wenn man krank ist, findet man sich auf einem neuen Wahrnehmungsfeld wieder, auf dem man eine Ernte von Interpretationen einbringt, die dann zum täglichen Brot werden, der einzigen Nahrung, die man hat. Sodass Noeline, als Dr. Howell schließlich die Beschäftigungstherapeutin heiratete, auf die Station für Geistesgestörte verlegt wurde.
    Von einem Roman zu erwarten, dass er die Last unserer gesamten gestörten Gesellschaft trägt – dass er bei der Lösung unserer gegenwärtigen Probleme hilft –, scheint mir ein spezifisch amerikanischer Irrglaube zu sein. Sätze von einer solchen Authentizität zu schreiben, dass man in ihnen Zuflucht finden kann: Reicht das denn nicht? Ist das nicht sehr viel?
    Vor gerade mal vierzig Jahren, als das Erscheinen von Hemingways
Der alte Mann und das Meer
ein nationales Ereignis war, galten Kino und Radio noch als «minderwertige» Unterhaltung. In den fünfziger und sechziger Jahren, als Kino zum «Film» wurde und als solcher ernst genommenwerden wollte, wurde das Fernsehen zur neuen minderwertigen Unterhaltung. In den siebziger Jahren entwickelte sich, mit den Watergate-Anhörungen und der Sitcom
All in the Family
, auch das Fernsehen zu einem wesentlichen Bestandteil kulturellen Bildungsguts. Der gebildete New Yorker, der 1945 pro Jahr noch fünfundzwanzig anspruchsvolle Romane las, hat heute vielleicht noch Zeit für fünf. Da dem Romanpublikum die Leserschicht des Vorpräge-Typus wegbricht, ist das, was übrig bleibt, im Wesentlichen der harte Kern der Resistenzleser, die lesen, weil sie lesen müssen.
    Dieser harte Kern ist eine sehr kleine Kostbarkeit, die sich eine sehr große Anzahl tätiger Schriftsteller teilen muss. Um sich ein dauerhaftes Einkommen zu sichern, muss ein Schriftsteller auch auf der Fünf-Bücher-Liste einer ganzen Menge Leser des Vorpräge-Typus stehen. In Erwartung dieses Jackpots bekommt jedes Jahr eine Handvoll guter Schriftsteller einen sechs- oder gar siebenstelligen Vorschuss (was den launigen Anhängern des Glaubens «Die amerikanische Literatur boomt!» Munition liefert), und ein paar von ihnen schaffen es tatsächlich in die Charts. E. Annie Proulx’ Roman
Schiffsmeldungen
hat sich in den letzten beiden Jahren beinahe eine Million Mal verkauft;
Grenzgänger
von Cormac McCarthy, 1994 im Bereich gebundener Bücher der bestverkaufte literarische Roman, erreichte auf der Bestsellerliste von
Publisher’s Weekly
Platz einundfünfzig. (Auf Platz fünfzig stand
Star Trek. Die Verurteilung
.)
    Anthony Lane hat unlängst in zwei Essays im
New Yorker
demonstriert, dass die meisten Romane auf der gegenwärtigen Bestsellerliste zwar nichtssagend, vorhersehbar und schlecht geschrieben sind, die Bestseller von vor fünfzig Jahren allerdings ebenfalls nichtssagend, vorhersehbar und schlecht geschrieben waren. Die Essays zertrümmern nützlicherweise die Vorstellung eines goldenen Prä-TV-Zeitalters, in dem die amerikanischen Massen noch die Nase in literarische Meisterwerke steckten; Lane stellt klar, dass der literarischeGeschmack breiter Leserschichten in diesem Land im Lauf eines halben Jahrhunderts nicht schlechter geworden ist. Was sich dagegen
verändert
hat, ist die wirtschaftliche Seite des Buchverlegens. Der größte Bestseller von 1955,
Marjorie Morningstar
, verkaufte sich in den Buchhandlungen hundertneunzigtausendmal. 1994 wurde in einem Land mit nahezu verdoppelter Bevölkerungszahl John Grishams
Die Kammer
über drei Millionen Mal verkauft. Das Verlagswesen ist heute eine Hollywoodtochter und der Kassenschlager-Roman ein massenmarktfähiges Gut, ein
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