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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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und absurd war.»
    Ich hoffe, es ist klar geworden, dass ich mit «tragisch» soungefähr jede Literatur meine, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet: in der ein Konflikt nicht in Geschwätz ertrinkt. (Der verlässlichste Hinweis auf eine tragische Perspektive in einem literarischen Werk ist der Humor.) Anspruchsvolle Literatur tragisch zu nennen hat den Sinn, die große Kluft zu betonen zwischen ihr und den Phrasen des Optimismus, die unsere Kultur so stark durchdringen. Die notwendige Lüge eines jeden erfolgreichen Regimes, auch des beschwingten Techno-Korporatismus, unter dem wir heute leben, ist die, dass das Regime die Welt hat besser werden lassen. Der tragische Realismus hält die Erkenntnis wach, dass Verbesserungen immer ihren Preis haben, dass nichts ewig währt, dass das Gute auf der Welt, wenn überhaupt, das Schlechte nur ganz knapp überwiegt. Vermutlich hatte die Kunst schon immer einen besonders dürftigen Einfluss auf die Vorstellungskraft der Amerikaner, weil unserem Land so wenig Schreckliches widerfahren ist. Die einzige echte Tragödie, die uns ereilt hat, war die Sklaverei, und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die Südstaatenliteratur auffallend reich ist und viele Genies hervorgebracht hat. (Man vergleiche damit die Literatur der sonnigen, fruchtbaren, friedlichen Westküste.) Wenigstens an der Oberfläche besteht die Geschichte Amerikas für die große weiße Mehrheit aus Erfolg und noch mal Erfolg. Der tragische Realismus hält den Zugang zum Morast hinter dem Traum vom Auserwähltsein offen – zu der menschlichen Mühsal hinter den Annehmlichkeiten der Technik, zum Schmerz hinter der popkulturellen Narkose, zu all den dunklen Vorzeichen an den Rändern unserer Existenz.
     
    Menschen ohne Hoffnung schreiben nicht nur keine Romane, sondern, und das trifft die Sache genauer, sie lesen auch keine. Nichts nehmen sie länger in Augenschein, denn dazu fehlt ihnen der Mut. Wer dabei ist zu verzweifeln, verweigert jede Art von Erfahrung, und der Roman ist natürlich eine Möglichkeit, Erfahrungen zu machen.
    Flabbery O’Connor
    Eine Depression ist, wenn sie klinisch ist, keine Metapher. Sie ist vererbbar, und man weiß, dass sie auf Medikamente und Therapie anspricht. Wie sehr man auch glauben mag, dass im Dasein eine Krankheit steckt, für die es keine Heilung gibt, wird man, wenn man depressiv ist, früher oder später kapitulieren und sagen: Ich will einfach nicht mehr, dass es mir so schlecht geht. Der Übergang vom depressiven zum tragischen Realismus – vom Gelähmtwerden durch Düsternis zum Getragenwerden durch Düsternis – scheint somit eigenartigerweise den Glauben an die Möglichkeit einer Heilung vorauszusetzen. Diese «Heilung» aber vollzieht sich alles andere als direkt.
    Die frühen neunziger Jahre verbrachte ich gefangen in einer doppelten Singularität. Nicht nur fand ich, dass ich anders war als alle anderen um mich herum; ich fand auch, dass die Zeit, in der ich lebte, grundlegend anders war als jede, die es davor gegeben hatte. Die Arbeit daran, eine tragische Perspektive wiederzuerlangen, beinhaltete für mich daher ein zweifaches Ziel: die Wiederannäherung an eine Gemeinschaft der Lesenden und Schreibenden sowie die Rückgewinnung eines Geschichtsbewusstseins.
    Es ist möglich, ein allgemeines Bewusstsein für das Düsterevon Geschichte zu haben, ja der mystischen dionysischen Überzeugung zu sein, dass das Spiel erst vorbei ist, wenn’s vorbei ist, ohne über ein hinreichend apollinisches Verständnis der Details zu verfügen, um dessen Tröstungen zu genießen. Noch vor einem Jahr wäre es mir beispielsweise nicht eingefallen zu behaupten, dieses Land sei schon «immer» vom Kommerz bestimmt worden.[ ∗ ] Ich sah einzig und allein die Hässlichkeit der kommerziellen Gegenwart, und natürlich wetterte ich gegen den Verrat an einem früheren Amerika, das in meiner Vorstellung wahrhaftiger, weniger käuflich, dem Unternehmen Literatur gegenüber weniger feindselig eingestellt gewesen war. Doch wie lächerlich kann das Selbstmitleid von Schriftstellern am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sein, gemessen am Leben von, sagen wir, Herman Melville. Wie vertraut sein Leben nämlich ist: der erste Roman, der seinen Ruf begründet, dann die schmerzliche Entdeckung, wie wenig seine Vision dem herrschenden Geschmack zusagt, das um sich greifende Gefühl, in einer rührseligen Republik keinen Platz zu haben, die furchtbaren Geldnöte, die Abwendung
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