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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
Autoren: Ravensburger
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E ine Frage: Wie würde es euch gefallen, wenn jemand aus eurer Familie – euer Onkel Ernie zum Beispiel – euer Zuhause in eine Fischfabrik verwandeln würde? Wie würde es euch gefallen, wenn überall Eimer voller Flundern und Bottiche mit Makrelen herumstünden? Was wäre, wenn in der Badewanne ein Schwarm Sardinen schwämme? Was wäre, wenn euer Onkel Ernie immer mehr Maschinen erfinden würde. Maschinen, mit denen man Fischen die Köpfe abschneidet, und solche, mit denen man die Schwänze abtrennt. Maschinen, mit denen man Fische ausnehmen, säubern, kochen und in Dosen quetschen kann? Könnt ihr euch diesen Krawall vorstellen? Dieses Durcheinander? Und dann dieser Gestank!
    Was wäre, wenn die Maschinen eures Onkels so groß wären, dass sie jedes Zimmer bis zur Wand und zur Decke anfüllen würden, auch euer eigenes Zimmer, und ihr müsstet im Wandschrank schlafen? Was wäre, wenn euer Onkel Ernie sagen würde, ihr dürftet nicht mehr zur Schule gehen, sondern müsstet zu Hause bleiben und mit den Fischen helfen? Hört sich das gut an? Tja, aber was wäre, wenn ihr, statt zur Schule zu gehen, jeden Morgen um Punkt sechs Uhr anfangen müsstet zu arbeiten? Und wenn ihr keinen Urlaub bekommen würdet? Und eure Freunde nie mehr sehen könntet? Würde euch das gefallen? Kein bisschen würde euch das gefallen! Tja, und Stanley Potts gefiel es auch nicht.
    Stanley Potts. Bloß ein ganz gewöhnlicher Junge, der in einem ganz gewöhnlichen Haus in einer ganz gewöhnlichen Straße ein ganz gewöhnliches Leben führte, und dann auf einmal: BUMM ! Das Leben spielte verrückt. Es geschah über Nacht. Gestern noch waren sie zu dritt – Stan, sein Onkel Ernie und seine Tante Annie – in einem hübschen kleinen Reihenhaus in der Fischzuchtgasse. Am nächsten Tag, aus heiterem Himmel: überall Flundern, Makrelen, Sardinen und der absolute Irrsinn.
    Stan liebte seinen Onkel Ernie und seine Tante Annie. Ernie war der Bruder von Stans Vater. Sie waren sehr freundlich zu ihm gewesen und hatten sich um ihn gekümmert, nachdem Stans Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen und seine Mutter an gebrochenem Herzen gestorben war. Sie waren für ihn wie nagelneue Eltern. Aber als der Irrsinn erst einmal angefangen hatte, wollte er gar nicht mehr aufhören. Und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr auszuhalten war.



Eins
    Alles fing damit an, dass die Winston-Werft zumachte. Seit Menschengedenken hatte die Winston-Werft am Ufer des Flusses gestanden. Seit Menschengedenken hatten Männer, die am Fluss lebten, in der Winston-Werft gearbeitet. Stans Vater hatte dort bis zu seinem Unfall gearbeitet. Onkel Ernie hatte schon als junger Bursche dort gearbeitet, genau wie sein Bruder und sein Vater und dessen Vater und dessen Vaters Vater. Und dann – Kawumm! – war alles vorbei. In Korea und Taiwan, in China und Japan bauten sie jetzt billigere und bessere Schiffe. Und so schlugen die Tore der Winston-Werft zu und die Arbeiter bekamen ein paar Geldscheine und wurden weggeschickt. Nachdem die Arbeiter gegangen waren, kam das Abrisskommando. Jetzt gab es keine Arbeit mehr für Männer wie Onkel Ernie. Aber Männer wie Onkel Ernie waren stolz und fleißig und sie hatten Familien, für die sie sorgen mussten.
    Einige fanden neue Jobs – in Perkins Plastikproduktion zum Beispiel oder in der Telefonzentrale eines Versicherungsbüros oder als Aushilfe in einem Supermarkt, wo sie Regale einräumten, oder als Führer im Museum für Industriedenkmäler – mit der Sonderausstellung „Wertvolle Wellenbrecher aus der Winston-Werft“. Andere Männer bekamen düstere Gesichter und schlurften den ganzen Tag durch die Straßen oder hingen an irgendwelchen Hausecken herum, wurden krank und verblassten. Ein paar griffen zur Flasche, ein paar gerieten auf die schiefe Bahn und ein paar endeten im Knast. Aber einige, wie Stans Onkel, Ernest Potts, hatten große Pläne, wahrhaft große Pläne.
    Ein paar Monate nachdem ihn die Winston-Werft entlassen hatte, stand Ernie mit Stan und Annie am Ufer. Die Kräne und die Lagerhäuser wurden abgerissen. Zäune und Mauern wurden zerschlagen. Überall lagen Trümmer. Landungsbrücken und Anleger wurden auseinandergenommen. Die Luft war erfüllt von Zerren und Reißen, Schlagen und Hämmern. Die Erde unter ihren Füßen erzitterte und bebte. Der Fluss schäumte in wilden Wellen und Strudeln. Der Wind peitschte vom Meer herein, den Fluss hinauf. Möwen kreischten, als ob sie so etwas
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