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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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sehnte sich danach, die Tür, die er gerade geschlossen hatte, aufzustoßen, um das Haus leer zu
ertappen
. Es war, dachte er, ein bißchen wie der Wunsch, bei seiner eigenen Beerdigung Gefühle hegen zu können.
    Mit ein paar Ausnahmen wurde jedes der Häuser im Block der Bentwoods jeweils von einer Familie bewohnt. Alle Häuser waren im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts erbaut worden, und zwar aus Back- oder Sandstein. Wo der Backstein gesäubert worden war, strahlte ein kalkiges rosa Leuchten ein Flair antiker Gelassenheit aus. An der Fassadenseite waren die meisten Wohnzimmerfenster mit weißen Fensterläden zugedeckt. Wo die Eigentümer sich diese noch nicht hatten leisten können, verhüllten Stoffstücke das Innenleben hinter den neuen Glasscheiben. Diese Stoffbahnen erfüllten zwar nur vorübergehend ihren Zweck, hatten aber einen gewissen Stil, gaben eine Art Vorahnung auf den jeweiligen Geschmack und waren keineswegs wie die Lumpen, die vor den Fenstern der Slumbewohner hingen. Wonach die Eigentümer der Straße gierten, war die Anerkennung ihres überlegenen Verständnisses für das, was auf dieser Welt zählte, und in ihrer Strategie, diese zu erreichen, verband sich Beherrschung mit Verlogenheit.
    Eine Pension hielt ihren Betrieb aufrecht, aber die neun Bewohner waren sehr still, fast geheimnistuerisch, wie die letzten noch übriggebliebenen Angehörigen einer fremden Enklave, die täglich ihre Deportation erwarten.
    Der Schandfleck der Gegend war ein mit gelben Ziegeln bedecktes Haus. Für diesen Stilbruch machte man eine italienische Familie verantwortlich, die in den schlimmsten Zeiten im Block gewohnt hatte und schließlich einen Tag, nach dem sämtliche Straßenlaternen zerschlagen worden waren, ausgezogen war.
    Die im Jahr zuvor vom Stadtteilverein gepflanzten Ahornbäume begannen auszuschlagen. Aber die Straße war immer noch nicht gut beleuchtet, und trotz aller Anrufe, Briefe und Gesuche an das Rathaus und das zuständige Polizeirevier wurden selten Polizisten gesichtet, außer in Streifenwagen, die unterwegs waren zu den Slumbewohnern. Nachts wirkte die Straße still und ernst, als ob sie weiterhin versuchte, sich in der Dunkelheit zu verschönern.
    Immer noch lag überall Müll herum, eine Flut, die anstieg und kaum abebbte. Bierflaschen und Bierdosen, Schnapsflaschen, Bonbonpapier, zerknüllte Zigarettenpackungen, eingetretene Schachteln, in denen Waschmittel, Lumpen, Zeitungen, Lockenwickler, Bindfaden, Plastikflaschen aufbewahrt worden waren, ein Schuh da und dort, Hundedreck. Otto hatte einmal, als er angewidert auf den Gehsteig vor ihrem Haus geschaut hatte, gesagt, daß kein Hund
so etwas
abgelegt hätte.
    «Glaubst du, sie kommen in der Nacht zum Scheißen hierher?» hatte er Sophie gefragt.
    Sie hatte nicht geantwortet und ihm nur aus den Augenwinkeln einen leicht amüsierten Blick zugeworfen. Was hätte er gesagt, wenn sie ihm erzählt hätte, daß diese Frage sie an einen bestimmten Abschnitt ihrer Kindheiterinnert hatte, als die Darmentleerung, wie ihre Mutter es nannte, von Sophie und ihren Freundinnen als Betätigung in der freien Natur aufgefaßt wurde, bis sie alle bei einer gemeinschaftlichen Sitzung unter dem Fliederstrauch erwischt wurden? Sophie war eine Stunde lang in die Toilette gesperrt worden, um, wie ihre Mutter gesagt hatte, das für diese Funktionen geeignete Behältnis zu studieren.
    Die Holsteins wohnten in Brooklyn Heights in der Henry Street, zehn Blocks weiter als die Bentwoods. Otto wollte nicht das Auto nehmen und seinen Parkplatz verlieren, und obwohl Sophie nicht nach Gehen zumute war – ihr war ein wenig übel –, wollte sie nicht darauf bestehen, gefahren zu werden. Otto würde sonst denken, der Katzenbiß habe ihr mehr zugesetzt, als es tatsächlich der Fall war. Es kommt einen in der Regel teuer zu stehen, wenn man sich lächerlich macht, dachte sie. Ihre Albernheit hatte zumindest einen kleinen Stich verdient.
    «Warum werfen sie alles auf den Gehsteig?» fragte Otto ungehalten.
    «Es ist die Verpackung. Der Verpackungswahn.»
    «Es ist schlicht und ergreifend eine Provokation. Ich habe gestern einen Farbigen beobachtet, der einem Abfallkorb einen Kick gab. Als er auf die Straße hinausrollte, legte er seine Hände an die Hüften und brüllte vor Lachen. Heute morgen sah ich den Mann, der die Decke aus seinem Fenster hängen läßt, wie er auf seinem Bett stand und in den Hof hinauspißte.»
    Ein Auto rollte langsam vorbei; ein Fenster schob
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