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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister
Autoren: Roland Krause
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»Herrgottsakrament!«
    Mit diesem Fluch fährt der Josef Sandner aus dem Schlaf hoch. Das wirft gleich ein schlechtes Licht auf ihn. Dabei ist er sonst keiner, der jeden Morgen die Augen aufmacht und sofort losschimpft wie eine paranoide Amsel im Hinterhof. Da er seit vierundvierzig Jahren mit sich auskommen muss, ist ihm sonnenklar – einmal aufgewacht, hat er bei Morpheus ausgespielt. Kein Weg zurück in erholsamen Schlummer.
    Die morgendliche Verwünschung hat demnach der frühen Uhrzeit gegolten. Sonntag, und es ist gerade mal halb acht. Quasi mitten in der Nacht für den Sandner. Die Zeit ist schon oft verflucht worden, die kratzt das nicht eine Sekunde.
    Ein zeitiger Weckruf am Wochenende kommt immer ungelegen. Irgendwo lässt jemand den Rasenstutzer aufheulen oder haut die Tür ins Schloss, und du bist wach – mittels einer akustischen Banalität.
    Überhaupt, das Banale. An sich ist so ein gewöhnlicher Tag ja keine Telenovela mit aneinandergereihten Höhepunkten bis zur totalen Ermattung. Von wegen, lebe deinen Traum und Pipapo. Wenn du nicht gerade Alexander der Große bist, warten in der Schlange vor der Tageskasse allenfalls biedere Momente – von den bitteren ganz zu schweigen. Und falls sich ein denkwürdiges Ereignis vordrängelt, musst du Schwein haben, dass es keine Tarnkappe aufhat.
    Aber es gibt im Leben vom Sandner Tage, da weiß er, heute kommt etwas Besonderes. Ein erhobener Zeigefinger vom Schicksal. Pass auf, den Tag unterstreich dir fett, und stell kein Weinglas auf den Boden! In der Retrospektive ist ihm dann allerdings öfter aufgegangen, das hat wieder nur der Mittelfinger gewesen sein können.
    Heute allerdings hätte das Schicksal am liebsten beide Finger genommen und damit einen Pfiff herausgelassen, der dem Sandner mindestens einen Tinnitus beschert, aber da brauchst du Übung. So einen Tag mit einem Fluch einzuläuten, das hat schon prophetischen Charakter.
    Von Vorfreude beim Sandner naturgemäß keine Spur. Der Mann ist Hauptkommissar bei der Münchner Mordkommission, genauer K11, vorsätzliche Tötungsdelikte. Qua beruflicher Definition geht ein besonderer Tag für ihn einher mit dem letzten Seufzer eines Unglückseligen. Und privat? Tendenz Mittelfinger. Er fragt sich, wie viel Zeit ihm noch bleibt, bevor es losgehen wird. Man sagt ja gern, jemand hat einen Riecher dafür, oder der hätte das im Urin.
    Als der Sandner vor Jahren in Kalifornien war, damals noch mit der Corina, hat er sich mit den Mordraten vor Ort beschäftigt. Statistik, schon wissenswert. Da hat er nicht aus seiner Haut gekonnt. Wenn so ein Police Officer in Oakland in der Früh aufgewacht war, brauchte der nicht erst in seinem Morgenstrahl zu lesen – da gab es nur ein Fragezeichen: Wo würde man heute die rote Nadel in den perforierten Stadtplan picken? Damit hast du in München nicht täglich zu rechnen, statistisch.
    Doch für unseren Hauptkommissar passt heute alles zusammen. Der Meininger ist krankgeschrieben, wegen eines Unfalls in eigener Werkstatt. Der Meininger, beseelt von der Idee, sich ein Boot zu bauen. Dazu ist nicht jeder berufen. Wobei das in puncto Sinnsuche natürlich schon als Versuch gilt.
    Der Hauptkommissar Meininger und der Sandner sind im gleichen Alter. Mit Mitte vierzig brauchst du manchmal einen neuen Anstoß. Körperlich und für den Geist sowieso. Körperlich ist der Sandner, anders als der Meininger, der schon Wert auf massive Planken legen muss beim Schiffsbau, noch ganz gut beieinander. Er ist so ein Hagerer, Drahtiger, nur aus den Falten in den Augenwinkeln und dem leichten Bauchansatz kann man das Alter herauslesen.
    Die Corina war partout der Meinung gewesen, er hätte sich aufpeppen sollen, »altersgemäß« – weg mit den Jeans und den schwarzen T-Shirts, da hatte sie sich an ihm abgearbeitet.
    Das Projekt war furios gescheitert. Die gestreiften Hemden und ihre Karopullis könnte sie getrost dem Neuen anhexen.
    In ihrer gemeinsamen Zeit hatte er wöchentlich ein Corpus Delicti im Kleiderschrank aufgefunden, als hätten sich über Nacht bei ihm die Heinzelmännchen über Kaschmirschafe hergemacht. Und immer wieder Blau – weil das so gut zu seinen blaugrauen Augen passen täte.
    Die Leute von der Caritas-Kleiderkammer hatten immer ihre helle Freude daran gehabt. Lieber harmonisch betrinken. Asche zu Asche, Blau zu Blau. Musikalisch betrachtet ist der Sandner eben weniger Streichquartett, mehr Independent.
    Seine strubbeligen Haare haben zwar in rapidem Tempo vom
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