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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister
Autoren: Roland Krause
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Dunkelbraun zum Grau wechselt. Den Alterungsprozess hat er jedoch weitgehend an der optischen Differenz zwischen Morgen und Abend wahrgenommen, beim Tête-à-tête mit dem Badspiegel. Dass er beim Rasieren höllisch aufpassen musste, so zerknautscht, mit all den Schluchten und Tälern in der Früh. Als ob über Nacht die Luft rausgezischt wäre, und unter Tag würde er sich wieder aufpumpen. Und die geistige Herausforderung? Er war noch lange nicht bereit, sich wie der Meininger, den »Noah von Haching« nennen zu lassen. Und weil der Hachinger Noah, möglicherweise wegen schlechten Wetters, fahrig hantiert hat mit der Flachdechsel, ahnt der Sandner, dass er diesen Sonntag keinen Freizeitstress haben wird.
    Morde passieren gern an Wochenenden. Der Mensch hat einfach unter der Woche keine Zeit dafür, wegen der Arbeit, den S-Bahn-Verspätungen und Pipapo. Am Wochenende spannt man aus, geht ins Kino, ins Stadion, oder denkt sich, mei, wieder ein fader Sonntag, ich hab Muße, bring ich halt wen um. Mag sein, wegen dem Fußball, aber angenommen, du wohnst in Giesing und fieberst mit den Löwen, wie der Sandner, bist du eh jedes Wochenende suizidgefährdet.
    Mörderische Energie allein reicht natürlich nicht, Talent ist gefragt. Da fehlt oft die fundierte Ausbildung, der Master of Murder-Arts, es sei denn, du hast in einer abgelegenen Wüstenregion oder dem geheimen chinesischen Kloster für den Feinschliff geschwitzt. Ansonsten ist die Spurensicherung auf Champions-League-Niveau – und so ein unbedarfter, weil ungelernter Mörder spielt meist in der Kreisklasse. Eine Prise Luminol und Genetik, null zu zwei, ausgeschieden.
    Trotzdem wäre es unvorsichtig zu behaupten, es gäbe keine phantasiebegabten Leut mit mörderischem Esprit, wo du nur hoffen kannst, deine physische Präsenz stößt denen nicht sauer auf – die Hoffnung stirbt bekanntlich immer zuletzt.
    Das verbrecherische Gedankengut wirbelt dem Sandner im Kopf herum, wie Herbstblätter im Sturm, während er quasi auf Autopilot in die Küche schlappt, hin zu seiner Kaffeemaschine. Saecco, ein Geschenk der Tochter Sanne zum Vierzigsten. Auf Knopfdruck strömt der Espresso. Der Duft röstfrischer Bohnen breitet sich im Zimmer aus. Wenn es nur mit dem Kopf ähnlich funktionieren könnte, für den Sandner. Bräuchte er mal einen gescheiten Gedanken – alles per Knopfdruck. Kekse dazu und Ruhe.
    Ein Komposthaufen gibt bei ihm zurzeit das Hirn. Das kann kein Zufall sein. Erst gestern Abend hat er im Baumarkt den neuen Lebensbereicherer von der Corina getroffen. Es hat mit ihnen nicht funktioniert, akzeptiert – aber ausgerechnet mit dem Staatsanwalt Doktor Wenzel? Nicht nur, dass sich ihre Wege immer wieder kreuzen müssen – allein die Vorstellung, wie der Wenzel mit seinen weißen Spinnenfingern der Corina den BH aufhakelt – zum Speien. Da würde manch einer in der Eisenwarenabteilung doch ein wenig länger stehen bleiben und sinnieren.
    Der Doktor Wenzel hatte ihn auch gesehen, mit dem Kopf genickt und auf seine herablassende Art geschaut – es gibt Menschen, die brauchen nur mit einem Muskel im Gesicht zu spielen und können dir damit ganz rationell aufzeigen, dass sie dich, evolutionär betrachtet, auf einer Stufe mit der Küchenschabe ansiedeln – eine mimische Kunstform, und der Wenzel beherrscht die aus dem Effeff.
    Dass er sich gerade mit einem Eimer Farbe abgeschleppt hat, als der Wenzel so spartanisch grimassiert hat in seine Richtung, hat den Sandner am meisten gefuchst. Er hat endlich die Rotweinflecken an der Wand im Schlafzimmer überstreichen wollen, immer ein Ärgernis für die Corina. Souveränität schaut definitiv anders aus. Und die Farbe steht noch immer im Flur, schon aus Trotz und weil diese spontane Energie sich gar nicht konservieren lassen wollte, quasi wie weggewenzelt.
    Ein jeder zelebriert sein besonderes Morgenritual. Mit der Kaffeetasse ins Wohnzimmer und auf der Couch fläzen, ist zwar nicht wahnsinnig einfallsreich, aber Sandners Zustand angemessen. Espresso schlürfen und ins Leere schauen. Ein abgenutzter Begriff, weil sein Wohnzimmer natürlich nicht leer ist, höchstens sparsam möbliert – stilvoller Minimalismus. Philosophischer formuliert: Er wendet den Blick nach innen. Da geht es ihm wie all den anderen Existenzen – die Minderheit der Erleuchteten ausgenommen –, wieder nicht aufgeräumt und der Dreck unter dem Teppich wirft bereits Beulen. Zu lange sollte man sich das nicht anschauen.
    Für das universelle
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