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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister
Autoren: Roland Krause
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das frische Grab vom Erdlinger geschmisse. Einfach so! Schöne Sauerei so was und eine Blasphemie sondergleichen! Sind grad amal fuffzeh Meter von da. Mir häwwe en Furz von am Gummistiefelprofil, aber der Reesche ... Kommst du gleisch mit?«
    Einfach so. Maximal fünfzehn Meter. Der junge Wilde ist schon vorausgeeilt, verschwindet um eine Biegung.
    Eine große Tanne versperrt die Sicht. Der Sandner lässt sich Zeit. Wenn du auf einen Friedhof kommst, ist der Tod so gegenwärtig wie die Maß auf der Wiesn. Eins ohne das andere – undenkbar. Da hat der Polizist erst ein Gespür bekommen wollen, für das Absonderliche, das Brutale inmitten dieser stillen Atmosphäre, die alles zudeckt mit ihrem schwarzen Leichentuch. Das muss er erst freischaufeln, die Erde weg, im Kopf.
    Das letzte Mal war er am Freitag vor drei Wochen auf einer Beerdigung gewesen. Oberkommissar Jochen Haube vom Raub, Autounfall. Er hat seine Mutter in Chemnitz besuchen wollen und jemand hat beim Überholen gepatzt und mit seinem Audi SUV den Polo vom Haube weggewischt, als wäre es ein Fliegenschiss. Ende – fünfunddreißig Jahre, Ostfriedhof mit Polizeikapelle.
    An verwitterten Grabsteinen schreitet der Sandner jetzt vorbei.
    Als kleines Kind wollte er immer die eingravierten Namen vorgelesen haben und die altehrwürdigen Berufe. Geheimrat oder Magister. Da hat er sich dann eine Geschichte dazuphantasiert. Damals war der Tod so abstrakt wie Leben auf dem Mars oder das Heiraten. Das hätte er sich nicht ausmalen können, dass er ihm später ständig über die Schulter schauen wird beim Ernten. Der Boandlkramer, hier hat er Heimspiel.
    Es riecht nach Schnittblumen und nasser Erde.
    Da liegt er.
    Der Sandner kann ihn noch nicht richtig anschauen, den Toten. Eigentlich sieht er nur nackte Beine auf dem ausgehobenen Erdhügel. Eine Gestalt im dunklen Mantel ist darübergebeugt. Klassisches Filmplakat: Nosferatu beim Brunch.
    Josef Erdlinger, steht auf dem Holzkreuz, 1928 – 2011. Verstreute Blumen, keine Kränze – ein Grablicht liegt umgekippt neben dem schwarzen Hügel.
    Ja, Sepp, jetzt hast du noch Besuch bekommen.
    Sein Gewicht hat den Toten einsinken lassen, der Unterleib verschwindet halb im feuchten Schwarz. Es sieht aus, als hätte er sich aus dem Grab herausarbeiten wollen, von tief unten. Grausig wirkt das. Durch die aufspritzenden Regentropfen ist die Haut mit Friedhofserde schwarz gesprenkelt.
    Wie sich der Doktor aufrichtet, gibt er den Blick auf den Leichnam vollständig frei. Ein junger Bursch, achtzehn oder neunzehn, sehr mager, Rippen und Schlüsselbeine stehen deutlich hervor. Die Arme hinter den Oberkörper gebogen, offenbar mit Handschellen fixiert. Auf der Brust Einschnitte und der Kopf mit bräunlichem Blut verkrustet.
    Der Sandner tritt näher, verharrt neben dem Körper.
    Die Gesichtszüge des Jungen sind im Schmerz verzerrt, die Augen aufgerissen, der Moment des Sterbens, wie auf Polaroid.
    Ein Regentropfen, der in die Pupille des Jungen fällt, zwingt Sandner zum Blinzeln. Die Augen will er ihm am liebsten zudrücken. Die Schnitte auf der Brust verkörpern ein blutiges Pentagramm. Zahlreiche Tätowierungen, als sei die Haut von einem Künstler als Skizzenblock benutzt worden. Ein mächtiger chinesischer Drache krallt sich in die Schulter, den schuppigen, grünroten Schweif mehrfach um den linken Oberarm geschlungen. Um den Rechten wickelt sich ein Stacheldrahtband. Durch eine Brustwarze ist ein silbern glänzender Ring gezogen. In der Pinakothek der Moderne würde das als ausgefallene Installation durchgehen. Das tät das Mörderfangen unbedingt erleichtern, das Schild mit dem Künstlernamen.
    »Grüß Gott«, sagt der Doktor und reckt den Kopf aus der Kapuze. Adlernase und graue, buschige Augenbrauen kommen zum Vorschein. Es ist nicht der Aschenbrenner, den der Polizist erwartet hat.
    »Servus, Hauptkommissar Sandner«, stellt er sich vor, »wo ist denn der Aschenbrenner?«
    »In Bad Kohlgrub, Wellnesswochenende – Moorbäder, Klangschalenmassagen, all inclusive. Morgen sieht er wieder aus wie neu«, antwortet sein Gegenüber.
    »Tät uns allen nicht schaden, so eine Ganzkörperrenovierung«, sagt der Sandner.
    »Früher oder später reicht’s bei uns allen eh bloß noch für die Schrottpresse.«
    »Sehr poetisch ausgedrückt.«
    »Für die Verklärung bin ich nicht zuständig, andere Baustelle. Tja, also ich vertrete den Aschenbrenner. Doktor Schädlinger – nun Todesursache, Gewalteinwirkungen am Schädel respektive
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