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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister
Autoren: Roland Krause
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aufgeklärt. Die Selbststrangulation zu weit getrieben. Und gestunken hat bloß der ganze Müll, besonders die zerbrochenen, fauligen Eier und die alten Sardinenbüchsen, von der Kochnische her.
    Dass der Mann blind gewesen war und das mit dem Müll nur passieren konnte, weil seine Tochter beim Preisausschreiben der »Für Sie« eine einwöchige Menorcareise gewonnen hat, hat der Sandner erst hinterher erfahren. Die Reise war für zwei gewesen, all inclusive, und sie hat einen Vorwerkvertreter mitgenommen, der, obwohl ohne Geschäftsabschluss, öfter bei ihr reingeschaut hat. So ist das mit der Liebe und dem Schein, frag den Shakespeare.
    Es hat schon eine Weile gebraucht, bis den Sandner seine Kollegen nicht mehr »unseren Münchner Jesus« genannt haben.
    Erst hat er gemeint, er könnte sich desensibilisieren, wie die Leute mit der Angststörung, mit denen der Psychologe im Aufzug so oft den Olympiaturm hochfährt, bis er ihnen nicht mehr die schweißigen Hände vom Nothalt reißen muss. Bei jeder neuen Leiche hat er sich vorgenommen, herzhaft zuzugreifen. Aber jedes Mal, wenn er sich darüberbeugen wollte, hat er sich nicht mehr rühren können. Die Erwartung hat ihn verschnürt, wie ein Packerl. Er hat damit gerechnet, dass ihn der Tote am Kragen packt, selbst wenn faktisch nichts Praktikables am Rumpf gehangen ist, mit dem die Leich hätte grabschen können.
    Und eine Autopsie? Da malt er sich Dinge aus, das langt an Albträumen für einen Fünf-Personen-Haushalt. Dagegen Blut, auch so eine Sache – macht ihm gar nichts. Da wiederum könnte er sprichwörtlich drin baden, wenn das einen Nutzwert hätte.
    »Was ist das Schwarze in seinem Gesicht?«
    Jetzt hat sich der Sandner doch ein wenig gebeugt, Grenzerfahrung. Vielleicht haben ihn die Handschellen beruhigt.
    »Schminke«, hört er eine Stimme hinter sich.
    Er dreht sich um.
    Einer von den Spusileuten. Jungspund mit Dreitagebart und Knopf im Ohr, bläulich-schwarz gefärbte Haare lugen unter der weißen Kapuze hervor.
    »Ich glaube, ich kenn den, Herr Sandner.«
    »Wer ist das?«
    »Das ist der Schlagzeuger von einer Band, die gestern im ›Zenith‹ gespielt hat. Das Gesicht ... ja und das Tattoo da, auf der Schulter, todsicher.«
    »Ja, der Tod ist das Sicherste, auf den kann man setzen.« Sandner verzieht den Mund. Schaut zum Toten hin.
    »Wie heißt der?«
    »Keine Ahnung, aber die Band heißt ›Nachtgoul‹. Gute Mucke, das ist schad um den.«
    »›Nachtgoul‹? Klingt nach diesen Viechern vom Tolkien?«
    »Nein, wie die Geister aus dem Kinofilm, ›Herr der Ringe‹, die neun Nazgul. – Wer ist denn Tolkien?«
    »Ein russischer Wanderprediger, aber wurscht. Was ist das für Musik? Sie haben keine CD da?«
    »Gothic – neue deutsche Härte. Ich hätte es auf’m Handy.«
    »Tun Sie’s mal her.«
    »Jetzt gleich?«
    »Freilich.«
    Während der Spusimann mit gerunzelter Stirn Symbole auf dem Display seines Handys antippt, läutet Sandner im Büro an. Dabei kommt ihm eine Erkenntnis über die tiefen Stirnfurchen bei den jungen Leuten, die ihm oft auffallen, als ob die ihre Zeit mit Grübeln vertändeln täten. Die neue Handygeneration, mit den klitzekleinen Bildschirmchen, alles kannst du machen, außer duschen – würde ihn nicht wundern, wenn es da eine direkte Verknüpfung zu Botox-Herstellern gäbe. Wie es überhaupt die seltsamsten Verstrickungen gibt. Man könnte vogelwuid spekulieren, zum Beispiel, ob die Pharmaindustrie das Putzpersonal in Hallenbädern beeinflusst oder die Sonnenschirmpreise an der Adria. Das ist weit entfernt von Paranoia, aber eine Disposition dazu kann dir als Mordermittler nicht schaden. Im Fachjargon: Vernetztes Denken. Das mag einem komisch vorkommen, dass Sandners Hirn angesichts des Toten plötzlich so ausschweift, aber vielleicht hat es einfach auf die Pausentaste gedrückt. »Have a break«, so gesehen geistiger Schokoriegel. Du kannst nicht ständig Mord Leiche, Mord Leiche, Leiche Mord denken, sonst wird’s dir schwindlig im Karussell.
    Wieder präsent, erzählt er der Wiesner, was er weiß.
    »Schau mal, was du draus machen kannst, und meld dich.«
    Dass die Kommissarin Sandra Wiesner im Büro geblieben war, ist beileibe kein Akt von weiblicher Diskriminierung durch den Chef gewesen. Eine solche Effizienz beim Einholen von Informationen, so ein technisches Verständnis, da hätte sich der CIA die Finger danach geschleckt.
    Der Hauptkommissar hatte den Eindruck, sie wüsste oft schon im Voraus, was sie noch
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