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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt
Autoren: Paula Fox
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ließ Sophie zusammenzucken. Er sah sie stirnrunzelnd an, und sie merkte, daß er glaubte, ihr hätte das, was er gesagt hatte, nicht gefallen. Sie würde es ihm jetzt sagen, wieso denn nicht? Der Vorfall mit der Katze war so dumm. Jetzt, im Abstand von einer halben Stunde, wunderte sie sich über die Angst, die sie verspürt hatte, und über die Scham.
    «Die Katze hat mich gekratzt», sagte sie. Er stand sofort auf und ging um den Tisch herum zu ihr.
    «Zeig mal her.»
    Sie hielt ihre Hand hoch. Sie tat weh. Er berührte sie vorsichtig, und seine Miene verriet Besorgtheit. Es schoß ihr durch den Kopf, daß er Mitgefühl hatte, weil die Katze bewiesen hatte, daß seine Warnungen vor ihr durchaus gerechtfertigt waren.
    «Hast du sie ausgespült? Hast du etwas draufgetan?»
    «Ja, ja», antwortete sie ungeduldig und sah zu, wie das Blut durch das Papier sickerte, und sie dachte, wenn das Bluten aufhörte, wäre die Sache zu Ende.
    «Tja, es tut mir leid, Liebling. Aber es war wirklich keine gute Idee, sie zu füttern.»
    «Nein, du hast recht.»
    «Tut es weh?»
    «Ein bißchen. Wie ein Insektenstich.»
    «Ruh dich erst einmal ein bißchen aus. Lies die Zeitung.»
    Er deckte den Tisch ab, stellte das Geschirr in den Geschirrspüler, kratzte die übriggebliebenen Leberstückchen in eine Schüssel und weichte die Kasserolle ein. Während der Arbeit warf er flüchtige Blicke auf Sophie, die ganz aufrecht dasaß, die Zeitung im Schoß. Er warmerkwürdig berührt von der für sie untypischen Unbeweglichkeit. Sie schien zu lauschen, zu warten.
    Sophie saß im Wohnzimmer und starrte auf die Titelseite der Zeitung. Ihre Hand hatte angefangen zu pulsieren. Es war nur ihre Hand, sagte sie sich, doch der Rest ihres Körpers schien auf eine Weise mitbetroffen, die sie sich nicht erklären konnte. Es war, als sei sie lebensgefährlich verwundet worden.
    Otto ging ins Wohnzimmer. «Was wirst du anziehen?» fragte er sie fröhlich.
    «Das Pucci-Kleid», sagte sie, «obwohl ich glaube, daß ich gar nicht mehr reinpasse.» Sie stand auf. «Otto, warum hat sie mich gebissen? Ich habe sie doch gestreichelt.»
    «Hast du nicht gesagt, sie habe dich bloß gekratzt?»
    «Was auch immer … aber warum hat sie mich so attackiert?» Sie gingen zur Treppe. Das Mahagonigeländer glänzte im butterweichen Licht einer viktorianischen Kugel aus mattem Glas, die von der Decke herabhing. Sie und Otto hatten eine Woche gearbeitet, um die alte schwarze Farbe vom Geländer zu entfernen. Es war das erste, was sie nach dem Kauf des Hauses zusammen gemacht hatten.
    «Weil sie wild ist», sagte er. «Weil sie von dir nichts anderes wollte als Futter.» Er stellte den Fuß auf die erste Stufe und sagte wie zu sich selbst: «Allein bin ich besser dran.»
    «Du hast immer deine eigenen Mandanten gehabt», sagte sie gereizt und ballte die verletzte Hand immer wieder zusammen. «Ich verstehe nicht, warum ihr nicht zusammenbleiben konntet.»
    «Dieses ganze Melodrama … Mit so etwas kann ich nicht leben. Und er konnte es nicht lassen. Wenn ich nicht für ihn war, war ich gegen ihn. Damit will ich nichtsagen, daß es keine Gründe gibt. Ich will nicht behaupten, daß es auf der Welt irgendeine Art von Gerechtigkeit gibt. Aber ich kenne Charlie. Er benutzt diese Leute und ihre Fälle. Er will bloß nicht ausgeschlossen sein. Und ich
will
ausgeschlossen sein. Ach … es war Zeit, daß alles zu Ende ging. Wir haben einander ausgelaugt. Die Wahrheit ist, daß ich ihn nicht mehr mag.»
    «Ich frage mich, wie er sich fühlt?»
    «Wie Paul Muni, der die Häßlichen und Ungeliebten verteidigt. Solche Anwälte hat es nie gegeben. Erinnerst du dich? Alle diese Filme aus den dreißiger Jahren? Diese jungen Ärzte und Anwälte, die irgendwohin in die Pampa ziehen und sich der Nachteile sehr wohl bewußt sind?»
    «Paul Muni! Charlie hat recht», sagte sie. «Du lebst wohl nicht im richtigen Jahrhundert.»
    «Stimmt.»
    «Aber Charlie ist nicht
schlecht
!» rief sie aus.
    «Ich habe nicht behauptet, daß er schlecht sei. Er ist verantwortungslos und eitel und hysterisch. Mit schlecht hat das gar nichts zu tun.»
    «Verantwortungslos! Was willst du damit sagen, verantwortungslos?»
    «Sei still!» sagte Otto. Er schlang die Arme um sie.
    «Paß auf!» sagte sie. «Ich mache dich blutig!»

2
    Kurz vor dem untersten Treppenabsatz legte Otto eine Pause ein und wandte sich wie gewöhnlich um, um einen Blick zurück auf sein Heim zu werfen. Er fühlte sich von ihm angezogen. Er
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