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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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Unendliche. Alles, was wir erkennen, sind Ausschnitte von Unendlichem, das selbst weder ein Ganzes ist noch als Supergegenstand existiert. Es gibt eine unendliche Sinnexplosion, an der wir teilhaben, weil sich unsere Sinne virtuell bis in den letzten Winkel des Universums und auf die flüchtigsten Ereignisse im Mikrokosmos erstrecken. Sobald wir dies erkennen, sind wir imstande, den Gedanken, wir seien nur Ameisen im Nirgendwo, zurückzuweisen. Zwar müssen wir – jedenfalls gilt dies noch zur Zeit der Abfassung dieser Zeilen – alle sterben. Und niemand wird bezweifeln, dass es viele Übel und absurdes, unnötiges Leiden gibt. Doch wir erkennen auch, dass alles anders sein kann, als es uns erscheint, einfach deswegen, weil alles, was existiert, in unendlich vielen Sinnfeldern zugleich erscheint. Nichts ist nur so, wie wir es wahrnehmen, sondern unendlich viel mehr – ein tröstlicher Gedanke.
    Das Fernsehen kann uns von der Illusion befreien, es gebe die eine, alles umfassende Welt. In einer Fernsehserie oder einem Film können wir verschiedene Perspektiven auf eine Situation entwickeln. Im Unterschied zum Theater sitzen wir nicht vor einer Bühne und müssen eine im Raum anwesende Person als Darstellung einer Figur auffassen, die nicht mit dem Schauspieler identisch ist. Denn einen Film können wir auch dann sehen, wenn die darstellende Person schon nicht mehr existiert. Ein Film ist in einem radikalen Sinne eine »Show über nichts«, eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten jenseits der fixen Idee, es gebe eine einzige Welt, in der alles stattfindet und die bestimmt, was real und was fiktiv ist. Die Vielzahl real existierender Perspektiven anzuerkennen ist gerade die Pointe moderner Freiheit (und der modernen Fernsehserien), die nicht auf eine unnötige Vereinheitlichung setzt.
    Dass es die Welt nicht gibt, ist also insgesamt eine erfreuliche Nachricht. Denn es erlaubt uns, unsere Überlegungen mit einem befreienden Lächeln abzuschließen. Es gibt keinen Supergegenstand, dem wir ausgeliefert sind, solange wir leben, sondern wir sind in unendliche Möglichkeiten verstrickt, uns dem Unendlichen zu nähern. Denn nur auf diese Weise ist es möglich, dass es alles gibt, was es gibt.
… und der Sinn des Lebens
    Die Sinnfeldontologie ist meine Antwort auf die Frage, was der »Sinn von Sein« ist, um eine berühmte Formulierung Heideggers aufzugreifen. Der Sinn von Sein, die Bedeutung des Ausdrucks »Sein« beziehungsweise »Existenz« ist der Sinn selbst. Dies zeigt sich darin, dass es die Welt nicht gibt. Die Nichtexistenz der Welt löst eine Sinnexplosion aus. Denn alles existiert nur, weil es in einem Sinnfeld erscheint. Da es kein allumfassendes Sinnfeld geben kann, gibt es unbegrenzt viele Sinnfelder. Die Sinnfelder hängen nicht insgesamt miteinander zusammen, da es die Welt sonst gäbe. Die Zusammenhänge zwischen Sinnfeldern, die wir beobachten und hervorbringen, bestehen immer nur in neuen Sinnfeldern. Wir können dem Sinn nicht entrinnen. Sinn ist sozusagen unser Schicksal, wobei dieses Schicksal nicht nur uns, die Menschen, sondern eben alles betrifft, was es gibt.
    Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens liegt im Sinn selbst. Dass es unendlich viel Sinn gibt, den wir erkennen und verändern können, ist schon der Sinn. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Der Sinn des Lebens ist das Leben, die Auseinandersetzung mit unendlichem Sinn, an der wir glücklicherweise teilnehmen dürfen. Dass wir dabei nicht immer glücklich sind, versteht sich von selbst. Dass es Unglück und unnötiges Leiden gibt, ist ebenfalls wahr und sollte der Anlass dazu sein, das Menschsein neu zu bedenken und uns moralisch zu verbessern. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings wichtig, sich Klarheit über unsere ontologische Situation zu verschaffen, da der Mensch sich immer auch im Zusammenhang damit verändert, was er für die Grundstruktur der Wirklichkeit hält. Der nächste Schritt besteht darin, die Suche nach einer alles umfassenden Grundstruktur aufzugeben und stattdessen gemeinsam zu versuchen, die vielen bestehenden Strukturen besser, vorurteilsfreier und kreativer zu verstehen, damit wir besser beurteilen können, was bestehen bleiben soll und was wir verändern müssen. Denn nur, weil es alles gibt, bedeutet dies noch nicht, dass alles gut ist. Wir befinden uns alle gemeinsam auf einer gigantischen Expedition – von nirgendwo hier angelangt, schreiten wir gemeinsam fort ins
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