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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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eine besonders massenwirksame Abstandsmaschine geschaffen haben, die das Museum, Theater oder Kinos bei weitem übertrifft. Auch das Radio stellt man meistens nur noch an, wenn man gerade nicht fernsehen kann, etwa im Auto.
    Es sollte daher nicht verwundern, dass in unserem Jahrhundert besonders die Fernsehserie zum zentralen ideologischen Medium avanciert ist. Der klassische Spielfilm kann aus vielen Gründen nicht mehr leisten, was man inzwischen von den sogenannten »Qualitätsserien« gewöhnt ist, die ihre Zuschauer wie von Drogen abhängig machen. Viele Serien reflektieren und inszenieren dieses Verhältnis sogar bewusst, wenn es etwa in den Sopranos , The Wire , Breaking Bad oder Boardwalk Empire an zentraler Stelle um Drogenhandel geht. Die Sopranos machen süchtig, genauso wie ihre Protagonisten auf vielen Ebenen süchtig sind, nach Frauen, Heroin oder einfach nur nach Pasta, Wurst und Wein. Über achtzig Stunden kann eine Fernsehserie dauern, was viel mehr Raum zur narrativen Charakterentfaltung lässt, weshalb man insbesondere die Sopranos gerne mit einem wuchtigen Roman vergleicht, etwa Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit . 94
    Intelligente Erfolgsserien wie Seinfeld , Die Sopranos , Breaking Bad , Mad Men , Curb your Enthusiasm , The Wire , The Office oder Louie enthalten einige der tiefsinnigsten und weitreichendsten Zeitdiagnosen, sie sind geradezu Spiegel unserer Zeit, was in einigen Serien wiederum explizit thematisiert wird, wie etwa in der britischen Kurzfilmserie Black Mirror , die indeed ein düsterer Spiegel der zeitgenössischen Medienwirklichkeit ist. Schon in der ersten Folge wird etwa der britische Premierminister gezwungen, öffentlich und im Fernsehen Sex mit einem Schwein zu haben.
    Natürlich ist auch das Medium des Films noch nicht völlig überholt, das seine eigenen Möglichkeiten in Filmen wie The Artist jüngst noch einmal rekonstruiert hat oder eine großangelegte Zeitdiagnose unternimmt wie David Cronenbergs Cosmopolis . Dennoch sind insbesondere die US -amerikanischen Fernsehserien inzwischen ideologisch tonangebend. Sie reflektieren und definieren zu einem großen Teil, wie wir uns und unsere Umwelt begreifen, und prägen unseren Sinn fürs Komische, unseren sense of humour .
    Auch in Deutschland ist das Lachen schon längst nicht mehr verpönt, wenn wir auch mit einer einzigen an Qualität grenzenden Serie, Stromberg , die zudem noch die Office -Idee kopiert, denkbar weit davon entfernt sind, Marktführer zu sein. Die Deutschen stehen immer noch im Ruf, sehr ernst zu sein. In diesem Sinne hat sich der New Yorker Philosoph Simon Critchley, der selbst ein Buch Über Humor geschrieben hat, vor kurzem – mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen – in einem Gespräch mit mir darüber beschwert, dass man in Deutschland einfach zu viel lache, was im Gesprächszusammenhang Lachen ausgelöst hat. 95 Tonangebend ist fraglos die US -amerikanische »Kulturindustrie«. In ihr kann man vielleicht sogar das eigentliche Erfolgsgeheimnis der USA sehen, deren Kulturindustrie unsere Sehgewohnheiten spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg in einer massenkulturell wirksamen Weise prägt. Die Mediendominanz sichert den Siegerstatus nach dem Kalten Krieg noch viel mehr als eine faktische ökonomische Vorrangstellung: Weltbildkontrolle ist allemal ein zentraler Machtfaktor in der globalisierten Welt.
    Die genannten Fernsehserien treffen den Nerv unserer Zeit, sie treten mit einem überwältigenden Wahrheitsanspruch auf, indem sie die gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrer Vielschichtigkeit zeigen, dabei aber auch immer wieder suggerieren, dass man sich seinen Platz in der Hackordnung erkämpfen muss, ob durch Witz oder Gewalt. Diedrich Diederichsen spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Alltag selbst als bedrohlicher Zusammenhang dargestellt wird, was wohl der vielbeschworenen US -amerikanischen Angstgesellschaft entspricht, die ihre Bürger durch implizite und explizite Untergangsszenarien zum Weitermachen antreibt. 96
A show about nothing
    Das Fernsehen wirft eine alte Frage in neuer Form auf: Ist unser Leben treffender als Tragödie oder als Komödie (oder doch als Farce) zu beschreiben? Decken sich die Existenzialanalysen unserer Lieblingsfernsehserien mit philosophischen Überlegungen, die uns vertraut sind?
    Heidegger und andere Existenzialisten, wie Kierkegaard, beschreiben unser Dasein eher als Tragödie denn als Komödie. Heidegger wollte uns in seinem Hauptwerk Sein
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