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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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ihn verlassen hat, dadurch zurückzugewinnen, dass er eine neue Staffel Seinfeld dreht. Damit wird innerhalb einer Show, in der es um den Produzenten einer Show über nichts geht, eine Staffel dieser Show über nichts gedreht, die außerhalb der Metashow niemals gedreht wurde.
    Die Charaktere werden nicht mehr einfach in eine Show über nichts hineingeworfen, über die sie (und wir als Zuschauer) lachen können. Sondern es wird deutlich, dass sie diese Show auch selbst produzieren. Larry David fügt der Selbstbezüglichkeit von Seinfeld noch die Pointe hinzu, dass wir Herr unseres eigenen Schicksals sind, dass wir es selbst gemacht haben, während die Charaktere in Seinfeld wie die Helden in einer griechischen Tragödie einfach Opfer ihrer selbst sind. Zwar sind sie komisch und können auch über sich und alle anderen lachen, es gelingt ihnen aber nicht, eine moralische Haltung zu entwickeln, mit der sie ihre eigene Selbstbezüglichkeit relativieren können. Erst Curb your Enthusiasm thematisiert den sozialen Raum, die Gesellschaft, als den Bereich, in dem die Zentren von Selbstbezüglichkeit aufeinandertreffen und sich miteinander arrangieren.
    Es genügt also nicht, über Selbstbezüglichkeit zu lachen. Wenn wir einfach nur darüber lachen, dass wir geistige Wesen sind, die sich selbst erfinden müssen und die sich in der in diesem Buch beschriebenen unendlich verschachtelten ontologischen Lage befinden, kommen wir nicht zu einem befreienden , sondern nur zu einem verzweifelten Lachen .
    Man kann also sagen, dass man von Sein zu Seinfeld und von dort aus zu Curb your Enthusiasm kommen sollte. Die Frage ist, auf welche Weise wir unser Leben – unser kollektives, gemeinschaftliches Leben – als eine Komödie ansehen können, ohne dass es damit seinen Sinn einbüßt.
Die Sinne …
    Nicht jedes Lachen überwindet den Nihilismus, wie die Serie Louie gegen Curb Your Enthusiasm neuerdings geltend macht. In Louie geht es ähnlich wie in Seinfeld um das Leben eines New Yorker Komikers, Louis C. K. Die Serie entfaltet sich in bewusster Analogie zu Curb Your Enthusiasm , deren Autorität sie allerdings untergräbt. Larry David tritt zwar dauernd in Fettnäpfchen, indem er auf soziale Konventionen hinweist und diese – manchmal sogar erfolgreich – zu verändern versucht. Louie hingegen scheitert und landet immer wieder in der schlimmstmöglichen Situation. Er wird mehr als einmal vergewaltigt, scheitert in allen Liebesdingen gnadenlos und erlebt einen alltäglichen Horror: So trifft er ein fettes Kind, das nur rohes Fleisch isst und in seine Badewanne scheißt und verschuldet die Enthauptung eines Obdachlosen im New Yorker Straßenverkehr. Nachdem Louie ihn von sich gestoßen hat, fällt der Obdachlose auf die Straße, wird von einem Lastwagen überrollt, und sein Haupt rollt zum Erschrecken aller Zuschauer über die Straße, was wirklich ästhetisch deutlich zu weit geht. Dies ist das Prinzip von Louis C. K.’s Humor, den entscheidenden Schritt zu weit zu gehen, womit er uns sozusagen die hässliche Fratze von Larry Davids Humor zeigt.
    Natürlich könnte man eine ganze Bibliothek über den Zeitgeist in Fernsehserien zusammenschreiben. Sie als kulturindustrielle Massenunterhaltung abzutun wäre jedenfalls ein intellektuelles Verbrechen, das sich selbst der kritischste Theoretiker zweimal überlegen sollte. Man macht es sich jedenfalls entschieden zu einfach, wenn man die Serien auf ihren manipulativen Charakter reduziert und so nur die altbackene Unterscheidung zwischen U- und E-Kultur reproduziert.
    An dieser Stelle geht es mir jedoch abschließend um eine andere Frage, die mit dem Erfolg der Fernsehserie und der Funktion des Fernsehens zusammenhängt, nämlich um die Frage, wie sich die Sinnfelder eigentlich zu unseren Sinnen verhalten und ob sich daraus Aufschluss über die Frage nach dem Sinn oder Unsinn unseres Lebens gewinnen lässt.
    Beginnen wir dazu mit einer eigentlich offensichtlichen Bestandsaufnahme. Wir sind daran gewöhnt zu meinen, wir hätten fünf Sinne: Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen. Andere Tiere haben auch noch andere Sinne, und bei verschiedenen Tieren sind die Sinne, die wir auch vom Menschen kennen, verschieden intensiv ausgeprägt. So weit, so gut. Doch wer sagt uns eigentlich, dass wir nur fünf Sinne haben? Und was ist eigentlich ein »Sinn«? Wie schon gesagt, geht die Einteilung unseres Sinnesapparates auf die antike griechische Philosophie, insbesondere auf Aristoteles’ Buch
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