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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller
Autoren: Andreas Winkelmann
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Prolog

    Mit jeder schwingenden Bewegung der Schaukel rieben sich die groben Seile tiefer in den Ast des Kirschbaums. Ihr Knarren und Ächzen war das einzige Geräusch an diesem Nachmittag im Sommer. Warme Luft glitt an ihrem Gesicht entlang, rauschte in ihren Ohren, ließ ihr langes rotes Haar wehen und ihr weißes Sommerkleid flattern. Bei jedem Schwung nach vorn, die Füße zum Himmel gestreckt, kostete sie ein kleines Stück süßer Schwerelosigkeit, und als sie berauscht war davon und ihr schwindelig wurde, ließ sie die Schaukel ausschwingen.
    Aus der einsetzenden Stille schälte sich die Erkenntnis:
    Da ist jemand!
    Sie musste ihn nicht sehen, um das zu wissen, denn sie spürte seine Anwesenheit. Spürte deutlich, wie sich die zuvor sichere und geordnete Umgebung veränderte, so als schöbe sich etwas unsagbar Böses in ihre Welt, das allein durch seine Präsenz Chaos auslöste. Die geräuschlosen Bewegungen hinter ihr lösten kleine, wellenartige Schwingungen in der Luft aus, in denen sich die feinen Härchen in ihrem Nacken aufstellten und zu vibrieren begannen. Wer sich dort anschlich, wusste nicht, dass man sich ihr nicht unbemerkt nähern konnte. Wer sich dort anschlich, kannte sie nicht und hatte hier nichts zu suchen!
    Ihre Gedanken rasten.

    Mama und Papa schliefen noch, ihr Bruder war fort und würde so schnell auch nicht zurückkehren. Das Haus lag abseits des Dorfes, und Besuch verirrte sich so gut wie nie hierher.
    Wer also schlich sich da an?
    War da überhaupt jemand, oder täuschte ihre übersteigerte Wahrnehmungsfähigkeit sie? War es am Ende nur der Sommerwind, der durch die Äste der hohen Bäume über ihr strich und die Blätter zum Flüstern brachte?
    Diese Hoffnung wurde ihm Keim erstickt, als sie das Geräusch hörte: Rascheln im Laub. Die letzten Zweifel verflogen. Ihre Wahrnehmung war eine Sache, ihr Gehör eine andere - es täuschte sie niemals.
    »Wer ist da?«, fragte sie. Ihre Stimme klang nicht so mutig, wie sie es gern gehabt hätte.
    Das Laub verstummte, und eine besonders heftige Wellenbewegung der Luft verriet ihr, dass der Fremde stehen geblieben war. Plötzlich setzte die Angst ein! Ihre Hände schlossen sich fest um die Seile, mit den Füßen stoppte sie die leichte Bewegung der Schaukel.
    Lauf ins Haus. Sofort! , rief eine Stimme in ihrem Inneren. Sie tat es nicht. Für normale Menschen wäre es die richtige Reaktion gewesen, nicht aber für sie. Der Weg zum Haus war zu weit, zu uneben. In ihrer Panik würde sie stürzen.
    »Mein Papa ist in der Garage, soll ich ihn rufen?«, sagte sie stattdessen und fand das sehr schlau. Wer auch immer sich ihr näherte, musste dadurch doch gewarnt sein.
    Plötzlich ging alles sehr schnell.
    Die zuvor sanften Wellenbewegungen steigerten sich zu einem Sturm, der eine kurze, aber harte Brandung gegen ihren Körper schmetterte und sie quasi von der Schaukel stieß.
Sie riss den Mund auf und wollte schreien, doch eine große Hand legte sich auf ihr Gesicht, drückte schmerzhaft ihre Lippen gegen die Zähne, verdeckte auch die Nasenlöcher, so dass sie nicht mehr atmen konnte. Die Hand roch und schmeckte nach Fisch. Ein Arm schlang sich von hinten um ihren Brustkorb und riss sie zurück. Sie strampelte mit den Beinen, trat gegen die Schaukel, dann in die Luft, während sie hochgehoben und aus ihrer Welt gerissen wurde.
    Luft! Sie bekam zu wenig Luft!
    Sie wand sich, spürte ihr Kleidchen reißen, rutschte nach unten und landete in der weichen Laubschicht.
    Laufen und schreien! Du musst laufen und schreien!
    Sie krabbelte auf allen vieren nach vorn, weg von dem Mann, dessen Fischgeschmack sie immer noch auf den Lippen spürte. Plötzlich schlug etwas hart gegen ihre Stirn. Es war das Brett der durch ihre Tritte hin und her schwingenden Schaukel. Sie schrie auf, kippte nach hinten und spürte Dunkelheit wie ein wallendes Tuch in ihrem Kopf. In ihren Ohren pfiff es entsetzlich laut, zudem lief warmes Blut ihre Stirn hinab. Starke Hände zogen sie an den Füßen nach hinten. Ihre Finger kratzten über trockene Erde, die Nägel brachen ab. Dann war er plötzlich über ihr, presste sie auf den Boden, eine Hand legte sich auf ihren Hinterkopf und drückte sie mit dem Gesicht ins Laub. Drückte sie so fest gegen den Boden, dass sie nicht schreien und nicht atmen konnte … Blätter, überall Blätter … tief im Rachen … keine Luft … keine Luft …

Teil 1
    Zehn Jahre später

1
    In den Zimmern verloschen nach und nach die Lichter. Eben noch durch
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