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Schulaufgaben

Schulaufgaben

Titel: Schulaufgaben
Autoren: Jutta Allmendinger
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Einleitung
    Dieses Buch verfolgt den Werdegang von vier Kindern, die soeben volljährig geworden sind. Einst waren sie die besten Freunde, heute haben sie sich nichts mehr zu sagen. Aus dem mit Stöcken und Plastikschwertern beschworenen »Einer für alle, alle für einen« wurde ein gleichgültiges Schulterzucken. Die Spuren dieser zerbrochenen Freundschaft führen schnurstracks zu den Eltern, in die Schulen und Nachbarschaften zurück. Sie zeigen unser aller Mangel an Geld, Zeit, Geduld und Kraft. Und damit die verführerische Macht, alles beim Alten zu lassen.
    Die Freundschaft der vier begann im Alter von drei Jahren. In einem Kindergarten, der gezielt Kinder aus ganz unterschiedlichen sozialen Kreisen zusammenbringen wollte, fanden sie gut Platz: Alexander, genannt Alex, das Kind zweier Akademiker, Erkan, der Sohn türkischer Händler, Jenny, deren alleinerziehende Mutter arbeitslos war, und Laura, das leicht behinderte Kind eines Künstlers und einer Friseurin.
    Die vier Kinder erwartete eine schöne Zeit. Viele Geburtstage, viele Wochenenden, viele Ausflüge verbrachten sie gemeinsam und mit ihnen die Eltern. Jenny siegte stets beim Memory-Spiel, Erkan rechnete blitzsauber für alle die Bonbons zusammen, Laura malte die wunderbarsten Bilder, und von Alex lernten sie Großmut und Deutsch. Nach drei Jahren wurden die Freunde getrennt. War der Kindergarten für die meisten noch frei wählbar, so wurde die Schule durch den
Wohnbezirk fest zugewiesen. Jenny und Erkan kamen auf Grundschulen, die in unmittelbarer Nähe zu ihrer Wohnung lagen. Alex besuchte die gutbürgerliche Schule in seinem Stadtteil. Laura dagegen blieb ein Jahr länger im Kindergarten, kam dann auf eine Grundschule und wurde bald auf eine Förderschule geschickt, die eben nicht mehr integrativ war.
    Einige Jahre hielt die Freundschaft, insbesondere die Eltern von Alex kümmerten sich darum. Zuerst riss das Band zu Laura. Die neuen Freunde von Alex, Erkan und Jenny konnten mit ihr nichts anfangen, hänselten und gängelten sie. Den dreien fehlte der Mut zu widersprechen. Und die Eltern konnten nicht mehr helfen. Nach der vierten Klasse standen weitere Schulwechsel an. Würden die drei jetzt eine gemeinsame Schule besuchen? Alle hofften es, doch daraus wurde nichts. Die Noten von Jenny reichten gerade so für die Realschule, bald jedoch rutschte sie auf die Hauptschule ab. Ihre Mutter regte sich nicht. Die Eltern von Erkan wünschten sich den höchstmöglichen Bildungsabschluss für ihren Sohn. Er kam auf eine Realschule. Bei Alex dagegen stand das Gymnasium von Geburt an fest. Sein Klassenlehrer wörtlich: »Deine Noten sind nicht besonders. Aber das wird schon. Bei deinen Eltern braucht man sich keine Sorgen zu machen.« Noch hatten die drei sich fest im Blick. Geburtstage feierten sie gemeinsam, überreichten sich Geschenke, krakelig beschriftet: »Von Deinem besten Kumpel.«
    Doch die Fäden lösten sich unaufhaltsam. Die Schule, die Freunde, das Leben unterschieden sich und damit die Interessen, der Sport, die Musik, die Urlaube, die Sprache. Bald weigerte sich Alex, seine Kumpels einzuladen, er schämte sich. Erkan traute sich nicht mehr, einfach bei seinen alten Freunden anzurufen, sie waren ihm fremd geworden. Jenny fand die anderen nur noch uncool. Und Laura suchte von sich aus sowieso nicht den Kontakt. Heute, mit achtzehn Jahren, fehlt ihnen jeder Kitt.

    Laura, Erkan, Alex und Jenny sind meine Freunde. Es gibt sie wirklich. Meine Schilderungen folgen ihrem Leben. Persönlich wollen sie nicht erkannt werden. Das respektiere ich. In dem Buch ändere ich daher ihre Namen und die Lebensräume, vernachlässige einige Details und überziehe andere deutlich.
    Eigentlich braucht es nur diese vier Leben und achtzehn Jahre, um zu zeigen, wie unser Bildungswesen funktioniert, wie es führt und verführt, wie es solange rüttelt und schüttelt, bis wir wieder dort angelangt sind, wo wir begonnen haben. Dies schlicht zu behaupten, wäre freilich billig. Also illustriere und belege ich die vier Bildungsverläufe mit Daten und Fakten. Das macht aus diesem Buch kein akademisches Werk, aber doch eine Darstellung, der die Forschung und die wissenschaftliche Verankerung nicht fehlen.
    Anprangern will ich mit diesem Buch nicht. Schwarzmalerei und Larmoyanz sind mir fremd. Ich will beschreiben, warum es so gekommen ist. Begreifen, wo wir einhaken können. Die Bildungsverläufe dieser vier Kinder und die Forschung zeigen uns im Kleinen wie im Großen, wie
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