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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung?
Autoren: Paul Gallico
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angenehm warm, sie war im Begriff, im Speisewagen ein Mahl zu genießen, und vor ihr stand ihre höchst eigene Flasche echten Champagners. Sie war eine glückliche und zufriedene Frau.
    Dann bemerkte sie, daß alle sie beobachteten und warteten. Es wurde ihr klar, daß sie den Wein, da er nun einmal da stand, auch probieren und trinken mußte. Jetzt, da ihre große Sehnsucht so freigebig erfüllt worden war, wünschte sie beinahe, daß sie es nicht zu tun brauchte. Der Geschmack war ihr nicht vertraut, vielleicht würde er ihr nicht Zusagen. Wenn es ihr nicht schmecken sollte, würden es die drei wachsamen Augenpaare sofort merken.
    Sie hob das Glas an die Lippen, sagte «Prosit!» und probierte tapfer den Inhalt. Sie schlürfte nicht ängstlich, sondern nahm einen guten, herzhaften Schluck.
    Sie hatte den säuerlichen Geschmack nicht erwartet und auch nicht das Prickeln der Bläschen. Ehe aber ihre Gesichtszüge auf den unvorhergesehenen sauren Geschmack reagieren konnten, hatte die Dosis ihr Inneres erreicht und rief dort sofort ein freundliches Glühen hervor. Sie verzog das Gesicht nicht; statt dessen stahl sich ein Lächeln über Violet Claggs Züge.
    «Das ist das richtige, was, Mutter?» fragte Will.
    «Herrlich!» sagte Violet.
    Der erste Schluck Gin hatte ein ähnliches Glühen im Magen der Großmutter hervorgerufen. «Ist es wirklich französischer?» fragte sie.
    Violet schob die Serviette so weit von der Flasche, daß sie auf das Etikett gucken konnte. «Er ist aus Reims», sagte sie, und dann richtete sie an alle die Frage: «Wollt ihr mal probieren?»
    Die Großmutter war die erste, die behutsam ihre Zunge befeuchtete. Sie schüttelte den Kopf: «Gin ist mir lieber.»
    «Mami, ich möchte auch!» rief Gwendoline. Niemand protestierte, das Glas wurde ihr gereicht. Sie benetzte die Lippen mit der Flüssigkeit und schnitt eine Grimasse, so wie Violet es ursprünglich auch tun wollte. «Uh!» sagte sie. «Sauer!» Und steckte ihr Näschen rasch wieder in das Ingwerbier, um den Geschmack loszuwerden.
    Clagg lachte: «Ich sage immer: Laßt sie nur versuchen, dann verlangen sie nachher nicht mehr danach!»
    Violet reichte ihm das Glas; er nahm einen Schluck und rümpfte die Nase. «Kein Getränk für einen Mann», sagte er und gab es ihr zurück. Jetzt gehörte er ihr, ihr allein. Sie kannte das Geheimnis des Champagners: säuerlich im Mund, warm und sprühend im Körper. «Es ist herrlich!» sagte sie abermals. «Noch einmal Prosit!» Sie nahm einen größeren Schluck und wurde durch ein noch stärkeres Glühen belohnt.
    Ein Kellner kam mit dem Essen. «Suppe für die junge Dame?» fragte er und wollte den Teller vor Gwendoline stellen. Die Großmutter warf ihm einen scharfen Blick zu: «Warum kann sie nicht Grapefruit bekommen?»
    «Verzeihung, Madame. Natürlich!»
    Die andern aßen Suppe. Gwendoline klatschte in die Hände, als die Grapefruit kam; aber als sie sie kostete, machte sie dasselbe Gesicht wie beim Champagner. «Uh! Sauer!» rief sie wieder.
    «So lernt man, mein Kleines!» sagte ihr Vater.
    Alle lächelten jetzt. Das Abendessen sollte ein Erfolg werden.

    Es war nahezu Mitternacht, als Will Clagg den Schlüssel in die Tür seines Hauses Imperial Road 56 in Little Pudney steckte und sie alle hineinmarschierten. Als sie die Tür wieder schlossen, waren sie prompt überwältigt von dem Schweigen, das im Hause herrschte, eine allumfassende Stille, in der das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims so erschreckend laut klang wie Pistolenschüsse. Anderswo wurde wahrscheinlich noch gefeiert, aber Imperial Road 56 lag am äußersten Stadtrand, am Ende einer Autobuslinie, und hier waren alle Leute schon zu Bett gegangen. Man hörte nicht einmal das Plärren eines Radios oder das Bellen eines Hundes.
    Erst jetzt wurde ihnen bewußt, daß ihr Trommelfell den ganzen Tag hindurch von Lärm und Geschrei attackiert worden war.
    Sie hatten das Geräusch der scharrenden Füße der Besucher gehört und die Marschtritte der Soldaten, das Dröhnen der Artillerie, das Brausen der Flugzeuge, das schrille Kreischen der Querpfeifen und das Lamentieren der Dudelsackpfeifen. Sie hatten den Lärm von Eisenbahnzügen gehört, von Autobussen, den des Straßenverkehrs, das mächtige Tosen der Hurra-Rufe, das Klirren von Tellern in den von Menschen vollgestopften Restaurants, die sie hatten betreten wollen. Jetzt erschreckte sie die Stille durch ihre Intensität. Will Clagg schien es, daß dieses Schweigen lauter dröhnte als der
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