Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung?
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
ängstlich bemüht, es nicht zu zeigen. Sie suchten sich darüber zu informieren, wie verschieden eine solche Mahlzeit von dem Tee in dem Café sein mochte, das sie manchmal am Sonntagnachmittag besuchten. Violet und Gwendoline hatten Fensterplätze, Will Clagg saß der Großmutter gegenüber am Gang, gegen die Fahrtrichtung. Als Familienoberhaupt und Organisator des Vergnügens hatte er die ganze Literatur, die auf dem Tisch lag, an sich genommen, die Speisekarte und die Broschüre, die gleichzeitig eine Weinkarte und eine Lobeshymne auf die Vorzüge der Staatlichen Eisenbahnen war.
    Die kleinen Augen der Großmutter richteten hierhin und dorthin flinke Blicke und informierten sich über das Tischgedeck, die Fischgabeln und -messer neben den Tellern und die Papierservietten, die aus den Gläsern zu wachsen schienen. Sie war nicht beeindruckt. «Ich nenne das Geldverschwendung», murmelte sie, «nachdem wir ohnehin schon genug Geld zum Fenster hinausgeworfen haben!»
    «Aber laß doch, Großmutter», beschwichtigte sie Will Clagg. «Was bedeuten schon ein paar Shilling mehr oder weniger? Wir haben einen schweren Tag hinter uns. Was wollt ihr essen: Schweinebraten oder Rindfleisch-und-Nieren-Pastete?»
    Violet sagte: «Sitz still, Gwenny!», denn das übermüdete Kind rutschte auf der Sitzkante hin und her, und es drohte, unter dem Tisch zu landen. «Meinst du, sie haben beides?» erkundigte sie sich bei ihrem Mann.
    «Es ist ein richtiges Festmahl», sagte Will Clagg. «Hör mal!» Und er las die ganze Speisekarte vor, Gericht für Gericht.
    Gwenny richtete sich auf: «Kann ich Eis haben?»
    «Warum nicht?» sagte ihr Vater zustimmend, was prompt einen Einwurf von seiten der Großmutter auslöste.
    «Eis vor dem Schlafengehen! Als ich ein junges Mädchen war, durfte man an solche Albernheiten überhaupt nicht denken!» Sie wandte sich Will zu: «Ich möchte wissen, was uns der Spaß kosten wird. Ein Vermögen, wetten wir?»
    Clagg studierte wieder die Speisekarte. «Siebeneinhalb Shilling pro Person», antwortete er. «Das ist gar nicht so arg. Siebenunddreißig Shilling und sechs Pennies für uns fünf.»
    «Ich kann nur hoffen, du hast so viel!» sagte die Großmutter bissig. «Und wovon wir leben werden, bis du den nächsten Lohn bekommst, wissen die Götter.»
    Wills Hand griff verstohlen in eine Westentasche und befühlte drei knisternde Ein-Pfund-Noten, einen für den Notfall ersparten und aufbewahrten Geheimfonds, von dessen Existenz die andern nichts wußten. Jeder Penny, den die Expedition kostete, war erwogen und berechnet worden, aber Will war ein behutsamer Mann und kein Dummkopf. Er war Vorarbeiter am Schmelzofen Nr. 2 geworden, weil er die Fähigkeit besaß, im voraus zu erkennen, welche Schwierigkeiten auftauchen können, weil er in der Lage war, Vorkehrungen zu treffen, um sie zu verhüten, oder, wenn sie dennoch auftraten, mit ihnen fertig zu werden. Aus diesem Grunde hatte Clagg auch seinen Geheimfonds angesammelt, und das Geld kam ihm nun gelegen.
    «Was ist das: Grapefruit?» fragte Gwendoline. «Kann ich Grapefruit haben, Mami?»
    «Was fällt dir ein?» sagte die Großmutter kopfschüttelnd. «Das macht den Magen sauer. Eine warme Suppe wäre das richtige für sie.»
    Was immer dieses Ding, das Grapefruit hieß, auch sein mochte, es wurde für Gwendoline plötzlich höchst begehrenswert. «Mami», lamentierte sie, «ich möchte Grapefruit haben!»
    Violet hätte dem Kind gern seinen Wunsch erfüllt, aber sie hatte weder die Energie noch den Mut, gegen das Diktat der Großmutter anzukämpfen. «Nein, Liebling», sagte sie matt. «Sei vernünftig. Warme Suppe ist besser für dich.»
    Durch ihre Unterwürfigkeit irritiert, blickte Will Clagg eine Sekunde lang zur Seite. Mußte’ sie sich immer ihrer Mutter fügen? Würde sie niemals zeigen, daß sie einen eigenen Willen hatte? So war es immer gewesen, seit die Großmutter bei ihnen wohnte. Warum konnte das Kind nicht ausnahmsweise bekommen, was es wollte? Er hatte sie schließlich zu einem Vergnügen eingeladen, das sie genießen sollten! Was sollte dann das ewige Spaßverderben? Mußte das Zanken und Herumkommandieren auch außerhalb des Hauses weitergehen? Er war nahe daran, die Suppe abzubestellen, aber dann entschloß er sich, davon abzusehen. Es lohnte einfach nicht die Aufregung und das Gezanke, und außerdem wußte er, sehr zu seinem Ärger, daß die Großmutter recht hatte. Nach dem kalten Regen war eine warme Suppe wirklich das richtige.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher