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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung?
Autoren: Paul Gallico
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Um seine Verdrießlichkeit zu verbergen, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Broschüre in seiner Hand zu und bemerkte etwas, was ihn höchst überraschte.
    Er las in der Weinliste: «Champagner, eine halbe Flasche 15 Shilling, eine Viertelflasche 8 Shilling.»
    Acht Shilling für Champagner! Wer hätte das gedacht? Er wußte, daß eine Flasche der besten Marke zwei Pfund kostete. Und jetzt war Champagner plötzlich in ihrer Reichweite!
    Will Clagg warf seiner Frau abermals einen diskreten Blick zu, aber diesmal fühlte er keine Gereiztheit mehr, sondern Mitgefühl und Verständnis. Das Wort Champagner auf der Speisekarte hatte ihn daran erinnert, welche Enttäuschung sie beim Scheitern ihrer Pläne für diesen Tag erlebt hatte.
    Denn obwohl Will ein schwerfälliger, untersetzter, muskulöser Kraftmensch war, der sich seinen Aufstieg aus den Reihen der Männer erkämpft hatte, denen er jetzt Weisungen erteilte, wußte er um die kleinen Dinge, nach denen der Sinn der Frauen steht: ein Putz auf einem Kleid, ein kleiner Chintz-Vorhang für das Küchenfenster. Sie waren nicht wie die Männer, sie glichen eher Kindern. Er hatte von allem Anfang an begriffen, daß ein Punkt des Programms Violet veranlaßt hatte, sich trotz all ihrer Skrupel und Einwände mit dem Krönungsprojekt einverstanden zu erklären, und das war der Champagner, der mit dem Mittagessen serviert werden sollte. Natürlich hatte er ihre Gedanken nicht restlos lesen und sich nicht vorstellen können, wie sie sich selbst im Geiste sah: ein Champagnerglas in der Hand, den kleinen Finger höchst elegant gekrümmt, das Auge auf die Bläschen gerichtet, die in der Flüssigkeit aufsteigen, ehe sie das Glas leert. Aber er verstand, daß das für sie irgendwie den Höhepunkt des Tages bilden sollte, gerade jenes kleine Extra, das jede Frau betört.
    Als er jetzt ihre Gesichtszüge betrachtete, von Runzeln durchzogen und mitleiderregend schlapp nach der letzten Kapitulation vor ihrer Mutter, fühlte er, wie sein Herz gerührt und von einem tieferen Begreifen erfüllt wurde. In einem gewissen Sinn war ihr Leben eine endlose Kette von Niederlagen, vergeblichen Hoffnungen und Enttäuschungen. Sie hatte nie Champagner getrunken. Ihr Herz sehnte sich danach, und er erinnerte sich an den angsterfüllten Schrei, der von ihren Lippen kam, als sie vor der klaffenden Lücke der Nr. 4 standen und die grimmigen Tatsachen von der Polizei bestätigt bekamen: «So wird es also keinen Champagner geben!»
    Ohne daß er oder die andern es erwartet hatten, war es nun plötzlich in seiner Macht, dies gutzumachen und mit einer kleinen Freude etwas von dem zertrümmerten Tag für sie zu retten. Umständlich, aber mit anerkennenswerter Geschwindigkeit löste er in seinem wuchtigen Schädel eine kleine Kopfrechnung, der er die Preise der Weinkarte und zweieinhalb Shilling Trinkgeld zugrunde legte, und kam nach doppelter Nachprüfung zu dem Ergebnis, daß er es sich leisten könne.
    Die Entscheidung fiel mit dem plötzlichen Erscheinen des Kellners an ihrem Tisch zusammen. «Wünschen Sie etwas zu trinken, Sir?»
    «Eine Viertelflasche Champagner.»
    Die Gesichtszüge des Kellners veränderten sich entsprechend dem vornehmen Charakter der Bestellung. «Sie wünschen ihn natürlich eisgekühlt, nicht wahr, Sir?»
    «Will Clagg», fuhr die fassungslose Großmutter fast schreiend dazwischen, «hast du den Verstand verloren?»
    Er sah seine Schwiegermutter fast ängstlich an, als er sagte: «Warum darf Violet nicht mal ein Glas Champagner trinken? Sie wünscht es sich seit langem.»
    «Oh, Will, das ist doch unmöglich!» sagte Violet beinahe erschrocken, denn es schien ihr, als sei ihr Mann nicht mehr seiner Sinne mächtig.
    «Halt den Mund, Liebling», sagte er nicht ohne Zärtlichkeit. Der Großmutter zugewandt, feuerte er einen Schuß ab, der den Panzer ihres Widerstands durchlöcherte. «Wie wäre es mit einem Tropfen Gin für dich, Großmutter?»
    Das war ihre Schwäche. Sie liebte ihren Schluck Gin. Das plötzliche Angebot brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Es bestand ein ungeheurer Unterschied zwischen einem Protest gegen eine sinnlose Extravaganz für ihre Tochter und einem Einwand gegen einen Tropfen, der ihr, wie sie wußte, in diesem Moment unendlich gut tun würde. Aber sie konnte den Gin nicht annehmen, ohne sich gleichzeitig mit dem törichten Champagner abzufinden.
    Mit unverhohlenem Behagen beobachtete Clagg den Kampf, der in ihr vorging. Um ihr Dilemma noch zu
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