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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung?
Autoren: Paul Gallico
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andern zur Last fallen; sie wollte einfach weiterleben, Will weiter plagen, ihre Tochter herumkommandieren, bei der Erziehung der Kinder mithelfen und mit Zusehen, wie sie wuchsen und sich entwickelten. Sie wollte weiter essen, trinken, atmen und sich in alles einmischen, bis sie müde würde. Irgendwie hatte ihr dieser Tag offenbart, daß sie dazu auch imstande sein würde. Er hatte die geheimen, unausgesprochenen Ängste beschwichtigt, die sie quälten. Einen Moment lang entspannte sich ihr grimmiger Mund fast zu einem Lächeln, und die scharfen Augen hinter den Brillengläsern betrachteten aufs neue das altvertraute Milieu des Zimmers. Ja, sie durfte noch eine ganze Weile dabei sein.
    Was Gwendoline betraf, so läßt sich nur feststellen, daß sie glücklich und zufrieden war. Sie behielt ihr Geheimnis für sich, was immer es auch sein mochte, das sie an diesem Tag ersehnt und gefunden hatte, und vermutlich würde sie es noch monate- und jahrelang in ihrem Herzen verschließen. Selbst wenn sie einmal erwachsen war und ihr Leben, ihre Bedürfnisse und Wünsche sich geändert hatten, würde ein Rest Zurückbleiben, an dem sie sich wärmen und zu dem sie immer zurückkehren konnte. Auf solchen kleinen, verborgenen Triumphen gedeihen sonnige Naturen.
    Drei seltsame erlesene Dinge waren von dieser anscheinend gescheiterten Fahrt mit nach Hause gebracht worden: ein Zeitungsausschnitt, ein Champagnerpropfen und ein glänzendes Militärabzeichen. Ihre Materialwert war gleich Null, und wer sie verstaubt in einer Dachkammer fände, würde nie erraten, welchen Gefühlswert sie besaßen, oder auch nur ahnen, daß sie in Wirklichkeit Symbole waren, Symbole des Ehrgeizes, der Liebe, des Stolzes und der Eitelkeit und jenes Hungers und Sehnens der Seele, die uns zu dem machen, was wir sind.
    Erst als seine völlige Anonymität durch jene zwei Druckzeilen aufgehoben worden war, erkannte Will Clagg, daß er in seinem tiefsten Innern nach den süßen Früchten des Ruhms dürstete. Es wäre ihm vorher nie eingefallen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wer er war und was er war, und noch weniger darüber, was er nicht war. Er wachte des Morgens auf, wusch sich, zog sich an und machte sich an die Fütterung seines höchst persönlichen Schmelzofens. Er bewegte sich durch Zeit und Raum zu seiner Arbeitsstätte, wo er von seinen Untergebenen und Vorgesetzten mit Respekt begrüßt wurde. Er erteilte Weisungen, traf Vorkehrungen, ohne die seine Arbeit nicht ordentlich funktionierte. Er tat seine Pflicht, und zwar tat er sie beinahe ebenso automatisch, wie er atmete. Nach getaner Arbeit wandte er sich privaten Dingen zu, und er war er selbst, war Will Clagg, der Freund und Gefährte anderer Männer seines Standes, Ehemann und Vater und Verwandter seiner Familienangehörigen, Bürger und Untertan seines Landes und seiner Königin.
    Alles in allem war es ein Leben ohne Gesicht, ein Dasein, das der Vergessenheit anheimfallen mußte. Aber plötzlich war er auserwählt worden, und er existierte als ein Lebewesen weit außerhalb der Ortsgrenzen von Little Pudney.
    Er war etwas Besonderes geworden, eine Person, die auf einer anderen Ebene lebte und, wenn auch nur für eine Sekunde, in das Leben all jener ein trat, die über ihn und sein unglückliches Abenteuer gelesen hatten. Es war, als ob er neu geboren worden wäre, und darin lag für ihn eine Freude und ein Entzücken, wie er sie früher nie für möglich gehalten hatte. Es war eine um so größere Erfüllung, als er bisher von seiner Existenz nichts gewußt hatte. Wenn er mit blutendem Herzen Opfer gebracht, wenn er gelitten hatte, so hatte er nun wahrhaftig seinen Lohn dafür erhalten.
    In der einen Hand hielt Violet ihre Teetasse, mit der anderen liebkoste sie den Champagnerpfropfen, den sie in ihrer Handtasche mitgenommen hatte.
    Man könnte ein Schildchen daran binden: «Andenken an die Krönung» oder «Andenken an das erste Glas Champagner» oder sogar «Andenken an ein glückliches Erlebnis». Denn der Korken kennzeichnete gewissermaßen einen Bruch in der Kette der Enttäuschungen in ihrem Leben, in der Reihe ihrer unerfüllten Erwartungen. Gewiß, sie hatte nicht ihren Platz im Fenster bekommen, und kein Diener hatte ihr den Schaumwein eingeschenkt, aber statt dessen war sie in einem Speisewagen gewesen, ein Erlebnis, das ihr zuvor nie vergönnt gewesen war. Die Flasche war richtig eisgekühlt gewesen und in eine Serviette gehüllt, der Kellner hatte eine Uniform getragen, war
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