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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller
Autoren: Petra Oelker
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KAPITEL 1
    Hamburg im August 1771
    «Soll ich nicht doch einen Laternenträger holen lassen, Monsieur Hecker?» Der Wirt des
Schwarzen Adler
unterdrückte ein Gähnen und sah seinen letzten Gast besorgt an. «Ihr solltet so spät nicht alleine durch die Nacht gehen.»
    «Wegen der paar Schritte? Vertanes Geld. Wir haben Halbmond und brave Nachtwächter, und wenn Ihr an diese seltsamen Kerle denkt, die sich in der letzten Zeit auf unseren Straßen herumtreiben – die sollen nur kommen.»
    Wilbur Hecker, ein Mann von erheblichem Umfang und kurzem breitem Nacken, klopfte auf die ausgebeulte rechte Tasche seines Rocks, drückte sich den Dreispitz aufs spärliche Haar und machte sich auf den Heimweg. Nur wer genau hinsah, bemerkte sein leichtes Schwanken.
    Der Wirt blickte ihm gleichmütig nach. Vom Licht des Mondes war in der Steinstraße, obwohl sie eine der breitesten der Stadt war, nicht viel zu sehen, die Gestalt in dem dunklen Rock verschmolz schon mit der Dunkelheit, nur die weiß bestrumpften Waden leuchteten noch. Beinahe sah es aus, als bewegten sie sich allein durch die Nacht
.
Die Straßen waren schlecht, und der regenreiche Sommer hatte sie nicht besser gemacht; Heckers Chance, ohne Sturz nach Hause zu kommen, war gering.
    Achselzuckend schloss der Wirt die Tür. War er der Hüter seiner Gäste? Nur solange sie an seinen Tischensaßen. Wenn Heckers Geiz eine Laterne verbat, trug er selbst die Schuld.
    Er legte den Balken vor, öffnete die Fenster, damit die milde Luft der Spätsommernacht den Tabakqualm und den klebrigen Geruch von Bier, Wein und Ochsenbraten vertreibe, und goss den Rotsponrest aus Heckers Krug in eines der guten Gläser. Der edle Schluck war der Auftakt für den schönsten Teil des Abends: Er setzte sich mit der Kasse in den Lehnstuhl beim Kamin, zog den dreiarmigen Leuchter heran und zählte die Einnahmen. Selbst wenn er dabei nicht leise und in tiefer Zufriedenheit vor sich hin gesummt hätte, wäre ihm das plötzliche Verstummen der klappernden Absätze auf der einsamen Straße kaum aufgefallen.
    Wilbur Hecker war ein ehrbarer Mann. Als Kaufmann hatte er es zu einigem Reichtum gebracht, den er besonders in seinem Sommerhaus mit dem großen, an exotischen Gewächsen reichen Garten gerne zur Schau stellte. Er war ein pflichtbewusster Gatte und Vater von vier Söhnen und einer Tochter, er besuchte an jedem Tag den Frühgottesdienst (in dem er höchstens für einige Minuten einnickte) – viel mehr wurde über ihn in der Stadt nicht gesprochen. Außer dass sein unermüdliches Bestreben, in die Reihe der Bürgerkapitäne aufgenommen zu werden, kurz vor dem Ziel stand. Von Lastern jeglicher Art war nichts bekannt, zumindest wurde von keinen geredet – was unweigerlich geschehen wäre, wenn es welche gegeben hätte. Dass er an jedem Donnerstagabend im
Schwarzen Adler
einkehrte, um mit einigen nicht ganz so honorigen Herren ‹ein Spielchen zu wagen›, fiel da nicht ins Gewicht. Auch ein tugendhafter Mann brauchte ab und zu ein Vergnügen.
    Böse Zungen behaupteten, es sei sein einziges, denn wer mit einer wie Madame Hecker verheiratet sei, müsse sein Amüsement nun mal außerhalb des eigenen Heims suchen.Eine Behauptung, die keinesfalls gerechtfertigt war. Madame Hecker galt als recht schweigsame und zuweilen strenge Dame, doch sie war eine Frau von Verstand und bei aller Leidenschaft für die empfindsamen (und teuren) Gewächse in ihrer Orangerie eine gute Wirtschafterin, was sich jeder kluge Mann von seiner Gattin nur wünschen konnte.
    Das wiederum flüsterten andere Stimmen, die auch der Ansicht waren, wer mit Monsieur Hecker verheiratet sei, werde bald schweigsam und tue gut daran, sich der Pflege eines kostspieligen Gartens zu widmen, weil es in einem solchen Leben sonst wenig Freude gebe.
    Kurz und gut, das Eheleben der Heckers und das, was darüber geredet wurde, boten nichts Außergewöhnliches.
    An all dies dachte Wilbur Hecker nicht, als er die Steinstraße hinuntertapste. Er hatte nie über seine Ehe nachgedacht, auch nicht über seine Frau. Er hätte nicht gewusst, wozu das nützlich sein sollte. Das Leben war, wie es war, und er hatte allen Grund, mit dem seinen hoch zufrieden zu sein.
    In diesen Minuten dachte er nur an den netten kleinen Gewinn, den er Ascan Westmeyer abgeluchst hatte. Er hoffte, der neue Spieler in seiner alten Runde werde sich trotz des Verlustes, der für den reichen Privatier gewiss leicht zu verschmerzen war, auch am nächsten Donnerstag im Hinterzimmer
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