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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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»Was macht dich so sicher? Hätte ich nicht wenigstens jedes zweite Mal die Fresse halten können, statt meine schmutzigen Finger in Flos Wunden zu legen? Ist es nicht mein Job, meinen Mann so zu lieben, wie er ist?«
    Unser Essen kommt. Janas farbenfroh und reich an Dekoration, meines braun und scheinbar absichtlich nur mit einer armseligen, geschnitzten Möhre lieblos verziert. Als wolle man mich für meine unkreative Wahl bestrafen. Ich bin in einem Tempel der orientalischen Köstlichkeiten und bestelle Pommes Schranke. Das scheint man mir übelzunehmen. Wieder habe ich mich gegen bunte Cupcakes und für labberigen Rhabarberkuchen entschieden.
    Während ich den Bambus und die Lappenpilze mit spitzen Fingern aus meinem Essen sortiere, sagt Jana mit vollem Mund: »Blödsinn. Weißt du aber auch selbst. Deine Bedürfnisse und deinen Ärger zur Seite zu legen hätte nichts genützt. Fakt ist, dass bei aller Perfektion bestimmte Dinge nicht besonders gut funktionieren zwischen euch. Die Frage ist nur, ob diese Trennung dazu führen kann, diverse Augen zu öffnen oder nicht.«
    »Oh, alle Augen sind geöffnet!«, sage ich böse. »Nur sehen wir augenscheinlich enorm unterschiedliche Dinge. Ich eine Zukunft, er nicht. Was ist das für ein verficktes Ergebnis?«
    Jana rollt die Augen und kaut. Ich rolle die Augen zurück und stochere in meinem braunen Essen rum. Ich habe keinen Hunger. Seit fast zwei Wochen schon nicht. Ich nehme rasend schnell ab, weil mir bereits beim Gedanken an Essen schlecht wird. Und beim Gedanken an Flo. Generell lösen Gedanken bei mir dieser Tage einen Würgereiz aus.
    »Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber ehrlich gesagt, würde ich an deiner Stelle noch nicht davon ausgehen, dass das tatsächlich das Ende ist. Gib ihm Zeit, dich zu vermissen, dich unter dem ganzen ausgeschütteten Kram zu finden.«
    »Was, wenn er mich nicht findet? Wenn es zu viel Zeug ist, das ausgekippt wurde? Was, wenn ich die nächsten Monate darunter verschüttet bin?«
    »Das glaube ich nicht«, sagt Jana, und für den Moment glaube ich es ihr sogar.
    »Was mache ich jetzt?«, frage ich, und ich will es wirklich wissen. Diese eine schlimme Mail lähmt mich so sehr. Nimmt mir jeglichen Handlungsspielraum. Allein-Sein tue Flo grade gut. Obwohl es sich furchtbar anfühle. Aber es tue gut. Er versuche herauszufinden, wo er emotional stehe, denn das Gefühl dafür sei ihm in den letzten Monaten vollkommen abhandengekommen. Er habe sich zu sehr treiben lassen, müsse wieder selbstbewusster werden. Und das ginge nur ohne mich. Ich fehle ihm sehr, aber welche nächsten Schritte sich daraus ergäben, könne er nicht vorhersagen.
    Jana wiegt den Kopf hin und her. Wie ein Wackeldackel, aber statt nach oben und unten wackelt ihr Kopf von rechts nach links und wieder zurück. Ich muss lächeln, denn es ist eigentlich eine tolle Psychiater-Geste.
    »Warte ich? Gebe ich auf? Kämpfe ich?«
    »Gib nicht auf. Aber warte auch nicht. Versuch, die Zeit für das zu nutzen, wofür Flo sie auch nutzt. Beschäftige dich ein wenig mit dir selbst.«
    Ich versuche eine Augenbraue hochzuziehen. Kann aber leider nur beide im Doppelpack heben. Jana pult sich Koriander aus den Backenzähnen und sagt schließlich: »Du weißt, was ich meine. Nutze die Zeit, um dein Leben auch ein wenig zu sortieren. Vielleicht herauszufinden, wie viel du von dem Flo, der er nun mal ist, wirklich aushalten kannst und willst.«
    »Das habe ich doch bereits. Ich habe meine zwei Wochen genutzt. Ich weiß, was ich will. Ich brauche keine Zeit.« Ich werde wütend. Die ganze Erleichterung über meine Entscheidung wurde mit großer Geste durch Flos Mail zerschlagen. Plötzlich zählt überhaupt nicht mehr, was ich möchte. Ich muss warten und zusehen, was ich noch kriegen kann.
    »Nun, du hast sie jetzt aber. Zeit. Also mach was draus.«
    »Ja. Ich könnte mir ein hübsches Hobby zulegen. Mit Glasmalerei anfangen. Einen Cupcake- und Mode-Blog beginnen. Zeit my ass!«
    Jana ignoriert mich (und den Kellner, der wissen will, ob es geschmeckt hat, eine Frage, die fast immer nur bei leergegessenen Tellern gestellt wird. Mein gut umgeschichteter, aber noch voller Teller wird nicht kritisch hinterfragt) und scheint nachzudenken.
    »Habt ihr Kontakt?«, fragt sie.
    »Nein. Nur darüber, dass er ein paar seiner Wintersachen braucht. Was bedeutet das?«
    »Nun, ich nehme an, dass ihm kalt ist.«
    »Danke. Im Ernst?«
    »Ich meinte das im Ernst. Fang nicht an, jede Bewegung zu
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