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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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um Jana nicht versehentlich durch unkontrollierte Stimmbandbewegungen zu ersäufen, meinen liebsten Elton-John-Song zu summen. Meine Schwester möchte eigentlich protestieren, das spüre ich, aber sie mag Elton John auch lieber als die ätzende, wenn auch dezente Meditationsmusik in unserem Salzwasserkabuff, also summt sie mit.
    »I miss the earth so much, I miss my wife
    It’s lonely out in space, on such a timeless flight.«
    Und bei
»
timeless flight« krieg ich mein liebes Fleisch und Blut dann endgültig, denn diesen Teil, den kann man nicht nur summen, den muss man singen, ja jaulen, also jaulen wir, und dann gewinnt Inbrunst über Schwerelosigkeit, und mit brennenden Salzwasseraugen sind wir Raketenmänner,
laute
Raketenmänner, die mit kleinen, aber wippenden Brüsten in vierzig Zentimeter tiefem warmem Wasser sitzen und singen, als wenn es kein Morgen gäbe.
    Und ich wünschte wirklich, das würde es nicht.

I ch kann asiatischem Essen nicht besonders viel abgewinnen. Alle Zutaten, die typisch sind, finde ich doof. Koriander, Bambus, Erdnüsse, diese schwarzen Pilze, die aussehen wie schmutzige Lappen, Curry, Schärfe im Allgemeinen, Zitronengras und Sesam. Asiatisches Essen ist ein Best of aller Lebensmittel, die ich verachte. Die einzigen Bausteine, die ich mag, sind Reis, Fleisch und Sojasoße. Weshalb ich auch immer die ewig gleich öde Kombination dieses Trios esse und mich dann jedes Mal furchtbar ärgere, weil es so langweilig schmeckt.
    Eigentlich weiß Jana all das, aber sie ist eben doch auch meines Vaters Tochter und möchte mich daher gern bekehren. Also ist es eben der »beste Thai« Leipzigs, in dem ich meine unkreative Bestellung (meist die Nummer 11 oder 21 oder 31 , je nachdem, für welches Fleisch ich mich entscheide) aufgebe.
    Janas Augen sind immer noch vom Salzwasser gerötet, meine vom Weinen unter der Dusche danach. Die feinen Drähte zwischen mir und Jana vibrieren ein bisschen, meine Traurigkeit und Angst liegen in der Luft, möchten aber selbst entscheiden, wann sie Thema sind, daher fragt Jana nicht, scheitert aber hin und wieder am Versuch, nicht besorgt zu kucken.
    »Das war ein schöner Tag. Danke dafür«, sage ich in meinen Mango Lassi.
    »Und was ist mit gestern?«
    »Auch ein schöner Tag.«
    »Was machst du, wenn du morgen nach Hause kommst?«, kann Jana nicht aus ihrer besorgten Haut.
    »Vermutlich weinen«, bestrafe ich sie.
    »Entschuldige, aber ich will nachfragen. Ich muss wissen, wie es dir geht, was du jetzt machen willst. Was
ihr
jetzt machen wollt.«
    Ich zucke, plötzlich furchtbar erschöpft, mit den Schultern und rühre in dem bereits vollkommen fertig gerührten Lassi.
    »Keine Ahnung.«
    »Ehrlich gesagt, verstehe ich das Ganze immer noch nicht so richtig. Seid ihr jetzt richtig getrennt? Oder ist eure Pause nur länger als geplant? Wie ist das alles plötzlich nur passiert?«
    Ja. Wie ist das alles plötzlich nur passiert. Während ich meinen Time-out dafür genutzt habe, den Kopf und die feinen Damen-und-Herren-Befindlichkeiten zu entstauben und zu ordnen, hat Flo seine Auszeit offensichtlich genutzt, um ordentlich Unordnung zu machen. Die bewährte, weil radikale Methode, die meine Oma schon in den 60 er Jahren als Strafe angewandt hat: einfach alle Kinderzimmerschränke auskippen, alles auf den Boden und ganz von vorn anfangen und aufräumen. Flo hat mich mit all seinem Kram ausgekippt, und jetzt liege ich zwischen dem ganzen Zeug und werde übersehen.
    Ich wüsste gern, wie viel von all dem meine eigene Schuld ist. »Ich kann mich selbst grad nicht mehr leiden«, hat Flo geschrieben, und die ganze Verzweiflung und Traurigkeit, die in diesem Satz liegt, hat sich in meinem Kopf festgesetzt wie eine Zecke. Alles, was in unserer Beziehung grad nicht funktioniert, funktioniere auch deshalb nicht, weil er sich selbst so furchtbar fände. All das Schwanz-Eingeziehe, das Kopf-in-den-Sand-Gestecke sei ihm bewusst, täte ihm leid, und er verachte sich selbst dafür. Mich zu mögen ginge nicht, wenn er sich selbst nicht mag. Schrieb er und hatte damit unumstößlich recht. Das geht wirklich nicht. Das weiß man ja. Aus dem Fernsehen und aus dem echten Leben auch.
    »Ich glaube nicht an Schuld«, sagt Jana. Und bevor ich mir eine imaginäre Peitsche über den Rücken ziehe, damit meine Haut aufplatzt und all mein Schmerz herausfließen kann, fügt sie hinzu, was ich dringend hören muss: »Du hättest das nicht verhindern können.«
    Aber das reicht mir nicht.
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