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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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verteiltes Drecks-Karma zu atmen, macht mir schlechte Laune.
    Während ich mir, nicht besonders dezent durch den Mund atmend, im Bad anhöre, warum Hongkong in jedem Fall die bessere Wahl für Lebenkindkarrieregesundheit ist, schleicht Flo lustlos durch den Rest der Wohnung. Ich kann an seinen Augen sehen, dass er keinerlei Interesse hat. Er spielt einfach Wohnungsbesichtigung, also schlendert er rum und fasst wahllos Gegenstände an, klopft an Wände und schabt mit den Füßen auf dem Holzboden rum.
    »Wenn Sie also Interesse an diesem Schmuckstück haben, würde ich Sie bitten, einfach den Verwalter zu kontaktieren. Der will dann sicher Ihre ganzen Unterlagen haben. Ich drücke Ihnen die Daumen. Wie Sie sich vorstellen können, sind Sie nicht die Einzigen, die interessiert sind!«
    Ich bin zu müde für Krawall, also sage ich nur »danke« und »gerne« und »echt wunderschön« und »viel Erfolg in Asien« und ziehe einen dankbar dreinblickenden Flo am Hemdsärmel aus der Wohnung.
    Auf der Straße verändert sich Flos gesamte Körperspannung. Er hat glänzende Augen und ist ganz hibbelig und freut sich offensichtlich sehr: »Auf keinen Fall, oder? Wonach hat das da gerochen? Kohl? Angst? Tod?« Ich muss lächeln. Flos fast weißblonde Haare stehen vom Kopf ab vor Glück. Er tänzelt neben mir auf dem Bürgersteig, und ich befürchte, dass er, kämen wir an einer leeren Getränkedose vorbei, sie wie im Film übermütig kicken würde.
    »Und die Alte! Eigentlich sollte Amnesty International dafür sorgen, dass ihre Familie vor ihr in Sicherheit gebracht wird! Die werden vermutlich gegen ihren Willen nach Asien deportiert.«
    Ich pule uns zwei ein wenig zerknüllte Zigaretten aus der zerdrückten Schachtel, zünde sie an und gebe die zerknülltere an Flo weiter. Er merkt es gar nicht, so elektrisiert ist er.
    Klar, richtig beschissene Wohnungsbesichtigungen fetzen. Man darf in fremde Leben schmulen ohne diesen lähmenden Wunsch, die Wohnung unbedingt haben zu wollen. Man muss sich bei den Vormietern/Maklern/Verwaltern nicht anbiedern und einen möglichst lässigen, lustigen, reifen und liquiden Eindruck hinterlassen. Außerdem werden in schlechten Wohnungen die eigenen Ansprüche und Bedürfnisse viel klarer als in tollen Wohnungen. Es schult den Blick für das, was man nicht möchte.
    Aber mir geht langsam die Luft aus. Seit einem halben Jahr suchen Flo und ich eine Wohnung. Schon seit über einem Jahr tragen wir uns mit dem Gedanken zusammenzuziehen. Es ist für uns beide das erste Mal. Wir sind ziemlich spät dran, gemessen an unserem gleichaltrigen Freundeskreis. Mit Anfang dreißig planen einige von ihnen schon das zweite Kind, wir werden fast verrückt vor Angst zusammenzuwohnen. Woher nehmen all diese Menschen nur die Sicherheit? Den Mut, einen so gewichtigen Schritt so dermaßen leichtfüßig zu gehen? Unsere Füße sind bleischwer. Wir haben nie unsere Wohnungen mit unseren Partnern geteilt. Wir haben immer allein gewohnt. Und dennoch schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass es Zeit ist. Ich bin keine zwanzig mehr, mir ist egal, dass andere Mütter auch schöne Söhne haben, dass da plenty more fish in the sea ist, dass die Liebe ein seltsames Spiel ist, schließlich kommt und geht sie von einem zum anderen. Bei uns ist sie gekommen und geblieben. Und nun sollte ich einen Schritt weitergehen. Mich entwickeln, wachsen. Die nächste Ebene. Frauenmagazinkram eben. Da ein Kind für Flo und mich grade überhaupt nicht in Frage kommt, bleibt nicht besonders viel Entwicklungsspielraum für unsere Beziehung, außer zusammenzuziehen. Theoretisch sieht Flo das auch so. Wir sind seit dreieinhalb Jahren zusammen. Wir finden uns toll, kennen einander, lieben einander, das ganze Programm. Es gibt für uns beide niemanden, mit dem wir uns besser einen gemeinsamen Alltag vorstellen könnten. Alles spricht dafür, also haben wir uns letzten Herbst entschieden. Wir suchen uns jetzt eine Wohnung. Was soll schon schiefgehen? Wir haben exakt die gleiche Alltagsgeschwindigkeit, verbringen eh die allermeiste Zeit beieinander, und anstatt permanent Kleidung und Laptops und Bettlektüre von A nach B zu tragen und im Kühlschrank Lebensmittel verrotten zu lassen, weil man doch wieder drei Tage am Stück in der Wohnung des anderen war, wird eben durchgezogen!
Ein
Kleiderschrank!
Ein
Kühlschrank! Es gibt mehr Gründe dafür als dagegen, und wir sagen sie uns wie ein kleines Gebet immer wieder gegenseitig auf. Die Gründe dagegen
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