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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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eingeschnappt?«
    Jana steht mit verschwitzten Haaren und rotem Gesicht vor mir und strahlt.
     
    »Du fandest es super?«
    Ich frage das entrüstet, aber leise, da Flo in Hörweite an der Hallen-Snack-Ausgabestelle Hot Dogs und Getränke für uns besorgt.
    »Ja!«
    »Aber welchen Teil?«
    »Äffst du mich nach, Luise?«
    »Nein, im Ernst. Ich möchte gern verstehen, warum dir das Klettern solchen Spaß macht, ich es aber für den ödesten Sport der Nachkriegsgeschichte halte!«
    Ich bekomme einen strafenden Blick von Flo, der die Hot Dogs auf unserem Tisch und trotzdem einen Kuss auf meinem Kopf platziert. Zu groß ist augenscheinlich der Triumph, dass zumindest eine aus unserer Familie Gefallen am Klettern gefunden hat.
    »Ach Mann, ich will ja gar nicht stänkern, ich kapier’s nur nicht: Man latscht hoch, springt runter und latscht wieder hoch. Wo ist der Teil mit der Spannung und Aufregung und so? Das Ganze ist so viel einfacher, als es aussieht.«
    »Aber das war nur deshalb so leicht, weil du alle bunten Dinger benutzt hast.«
    »Klettergriffe. Grips«, wirft Flo ein.
    »Aber dafür sind die bunten Dinger doch da, damit man sich daran langhangelt. Oder nicht?«
    »Klettergriffe!«
    »Ja, am Anfang. Aber dann kann man richtige Routen klettern. Indem man zum Beispiel nur die roten Dinger benutzt.«
    »Klettergr… O.k. Ich kapier’s. Ihr sagt das nur, weil ihr das Wort so lustig findet, richtig?«
    »Wenn man nur die roten Dinger benutzt, ist es doch total schwer, die Wand hochzukommen!«, sage ich entrüstet.
    Flo steht auf und geht. Er ist schließlich Assistant Manager, und in einer so gut besuchten Halle fällt, besonders zur Kletter-Rush-Hour, sicher eine Menge Managing an. Ich streiche ihm noch schnell versöhnlich über den Rücken, erwische aber nur noch ein Stück Hintern.
    »Luise, jetzt mal ohne Quatsch: Dir ist klar, dass es genau darum geht, oder? Dass es schwerer ist, wenn man nur die roten Dinger benutzt?«
    Ich seufze und werde ein wenig trotzig: »Nein! Weshalb sollte das Spaß machen? Es wird dadurch kompliziert, und das ist anstrengend. Warum sollte man das wollen?«
    Ich befürchte, dass es jetzt gleich nicht mehr ums Klettern, sondern ums Große Ganze geht.
    Jana merkt das natürlich auch, und für einen kurzen Moment wünsche ich mir, dass meine kleine Schwester BWL studieren würde. »Wenn du alle Griffe jederzeit benutzen kannst, bist du natürlich sehr schnell am Ziel, da sie alle nah beieinanderliegen und du gar nicht nachdenken musst. Und selbstverständlich ist das auch enorm befriedigend. Und dann ist es aber eben ganz schnell öde. Weil es dich nicht fordert. Wenn du aber nur eine bestimmte Farbe benutzen darfst, musst du nachdenken. Und planen und abwägen und dabei viel mehr Kraft aufwenden, weil die Griffe eben weiter auseinanderliegen und dein Geist und deine Arme und Beine viel mehr aushalten müssen. Das ist der Teil, der es interessant macht.«
    »Jetzt reden wir über das Leben, richtig? Darüber, dass steinig viel mehr fetzt als glatt mit Taxi. Oder? Dass Sicherheit zwar schön und leicht ist, aber weniger fordert und fördert als lose Zügel. Ja? Dass man Abenteuer-Hunger braucht, um ein ausgefülltes Leben zu haben?«
    Meine Nase kribbelt, und ich befürchte, dass mir gleich die Tränen kommen.
    Jana nimmt mein Gesicht in ihre Hände und strahlt mich an: »Lu, exakt! Und das ist eine
gute
Nachricht! Das ist der Grund, warum reiche Menschen Ärsche sind und wir nicht!«

A uf Flos Bauch balancieren fünf Dessertschüsseln voller M&Ms. Farblich sortiert. Seit er gehört hat, dass irgendein Rockstar sich backstage die M&Ms sortieren lässt, weil er nur die gelben mag, macht Flo das auch so. Natürlich liebt er die roten und braunen und grünen und blauen nicht weniger als die gelben, also werden sie einfach nacheinander gegessen.
    Wir liegen in Unterwäsche auf Flos Bett und sehen irgendeine Castingshow.
    »Du weißt, dass das ’ne Wiederholung ist und du nicht für deinen Favoriten anrufen kannst? Grün!«
    Flo steckt mir ein grünes M&M in den Mund und nickt.
    Was Flo unter anderem zum coolsten Typen der Welt macht, ist, dass er eine enorme Leidenschaft für Gossip und Mistfernsehen hat. Im Großen und Ganzen ist er sonst normal männlich. Er geht gern abends mit Freunden Fußballspielen und interessiert sich angenehm wenig für Mode. Er ist drahtig und riecht in den richtigen Momenten nach Schweiß, er isst gerne Fleisch, am liebsten wenn es noch an einem Knochen
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