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Der König Von Korsika

Titel: Der König Von Korsika
Autoren: Michael Kleeberg
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Vorspiel
    Die Bühne ist dunkel und leer.
    Schließe ich die Augen, dehnt sie sich zu einem Universum. Die feuchte, von winzigen Moosen rauhe Fläche unter meiner Hand wird zur Reliefkarte meiner Freiheit, und mit den Fingerkuppen taste ich, blinder Odysseus, die Kontinente ab, die Isthmen und Flußdeltas, die Inseln und Ebenen und Hochplateaus, zu denen die Reise meiner unschuldigen Träume führt.
    Mein Gedächtnis gleitet, ein kreisender Adler, so weit oben durch den Äther, daß es nur die Verwerfungen des Zeitalters wahrnimmt, nicht die Beute meines eigenen Lebens. Oder gleicht es eher einer Fledermaus, die torkelnd durchs Gewölbe meiner Vergangenheit flattert und gierig und erfolglos nach den wenigen reuelosen Erinnerungen schnappt?
    Licht!
    Majestät wünscht Licht!
    Licht kommt!
    Ein heller Schimmer läßt Stalagmiten und Stalaktiten aus der schwarzen Unendlichkeit wachsen. Schritte schrammen über Stein. Wo das Kerzengeflacker hinfällt, schichtet die Leere Mauern auf. Wogende Schatten auf den immer näher rückenden Wänden künden die herbeigetragenen Leuchter an.
    Ich habe mich immer zuviel für mich interessiert, aber bei Gott, ich bin ein Thema, das mehr Interesse verdient als andere.

    Jetzt sind sie aufgestellt, der lichtgeborene Stein wuchert als enges Gewölbe bis unter meine Hand. Die moosige Landkarte der Phantasie unter meinen Fingern erlischt.
    Ich habe alles verloren bis auf die Hoffnung, die ist so hartnäckig wie die Läuse, und ich werde mir den Schädel der Illusionen rasieren müssen, um sie endlich loszuwerden.
    Musik!
    Majestät wünscht Musik!
    Eine schwere Holztür fällt ins Schloß. Die hundert Flämmchen zittern und rußen. Eisenbeschläge oder ein Schlüsselbund klappern.
    Die Musiker sind bereit!
    Ein tief gestrichener Summton löst sich aus der Mauer, strömt durch meine Hirnschale, bricht sich an der Rückwand und flutet zurück. Eine Sirenenstimme geistert unter der Gewölbedecke entlang, sinkt herab und schmiegt sich um das Baßgebrumm, dann wird beides von schrillem Lärm verschluckt, der sich wie auf geheimen Befehl zu einem einzigen Ton verengt und wieder auseinanderplatzt in Celloschnurren und hysterische Geigentriller, Trompetenfanfaren, Flötengesirr und den Brunftruf des Fagotts. Ein im Gewölbe gefangener Wirbelsturm braust auf und legt sich wieder.
    Gestühl für den Gast!
    Majestät wünscht einen Sessel für den Gast!
    Ich hatte immer Angst. Angst vor der Welt. Angst vor dem Tod. Angst vor dem Stillstand und der Veränderung. Angst vor den Menschen und vor allem vor ihrer Abwesenheit.
    Sessel kommt!
    Das Möbel wird herbeigeschleppt und abgeklopft, daß der Staub im Kerzenlicht tanzt und die Troddeln flattern. Im Gegenlicht wirft das Ding einen Schatten wie ein Schafott.

    Mein Thron!
    Majestät wünscht ihren Thron!
    Der Thron kommt!
    Wieder die schlagenden Türen und über den Steinboden scharrenden Füße. Ein Bärtiger mit fleckigem Wams und strähnigem Haar trägt den zerkratzten hohen Stuhl über dem Kopf, so daß die gedrechselten Füße, von denen das Blattgold blättert, wie ein Geweih in die Luft ragen.
    Mein lieber William, stell ihn hier auf.
    Der Gehörnte holt auch das Essen aus der Küche, ein bißchen Freundlichkeit ist also gewinnbringend angelegt. Die Kissen aus Samtbrokat sind zerschlissen, die Farben verschossen, zwischen den Bronzenieten sieht es verdächtig nach hervorquellender Holzwolle aus. Aber sobald ich darauf sitze, ist auch dieses Wrack ein Thron.
    Spielt!
    Vier Stakkatoakkorde, und schreitend und trabend setzt die Tafelmusik sich in Bewegung. Ich spähe ins Vorgewölbe, wo mein Schreibtisch vor der vergitterten Luke steht, dem engen Sonnentrichter. Die Musiker stehen so dicht, daß sie im Gegenlicht eine dunkle Welle bilden, auf der wie Schaumkrönchen die gepuderten Perücken nicken und stäuben. Jetzt fängt ein weit ausgreifender Bogen das Kerzenlicht auf und schimmert wie eine Angelrute in frühester Morgensonne.
    So hell ist es hier selten. Unglücklicherweise kann ich mich genauer sehen, als mir lieb wäre. Die dicken, knorpligen Gelenke, die verkrümmten letzten Fingerglieder. Beinahe eine Klaue. Und die Gelenke schmerzen, als zöge man sie mit Zangen aus ihren Pfannen.
    Dabei war ich einmal ein schöner Mann.
    Eine Psyche!
    Eine was?
    Herr im Himmel, den hohen Spiegel, du Tropf!
    Den Spiegel für Majestät!

    Die Psyche, mannshoch, in einem doppelten Kirschbaumrahmen, der innere ist über die Querachse des äußeren
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