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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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enorm begabte Ferres aus dem Stand anfangen könnte zu weinen, aber ich habe inzwischen schon vollkommen aufgegeben und versuche es also einfach.
    »Nee, nee … ähm …« Der Regisseur blättert hektisch auf dem Clipboard, um meinen Namen in Erfahrung zu bringen. »… Luise!! Mach mal mit mehr Emotionen! Versuch dich mal so richtig in Suzie reinzuversetzen, ja?«
    Suzie: 16  Jahre, erste große Liebe: Bobby, ein von Suzies Familie nicht geduldeter, weil afroamerikanischer Wanderarbeiter, Outlaw, Hengst und Tausendsassa, der laut Drehbuch permanent schlüpfrige Witze über sein »Stehvermögen« macht und nun aber leider weiter zum nächsten Hafen und somit Hasen muss.
    Wirklich? Ich bekomme nicht mal genug Emotionen zusammen, um eine Augenbraue zu heben, geschweige denn zu weinen, also verstecke ich mein Gesicht in meines Geliebten Halsbeuge, versuche es noch mal und lache dann einfach vor Verlegenheit ein kleines bisschen. »Siehste! Siehste!! Jetzt hast du es, stimmt’s? Das war echtes Weinen, richtig? Ist doch super!« Der Regisseur ist ganz aufgeregt und stolz, echte Emotionen in mir geweckt zu haben, »Bobby« ist stolz über eine weitere Perle auf seiner Kusskette, und ich bin unangenehm berührt ob meiner eigenen Unfähigkeit, fühle mich schmutzig aufgrund des bedrückend schlechten Buchs und möchte jetzt gerne Heinz aus meinem Gesicht waschen.

Memo
    Ich muss dir noch so viel erzählen!
    Unser Nachbar, den wir nur einmal gesehen haben, was wir cool fanden, weil das bedeutete, dass er nie zu Hause ist und wir deshalb keine Lärmbelästigung zu fürchten hatten, er hat sein Schlafzimmer direkt neben unserem. Ich hatte das aufgrund diverser Außenfassadenbetrachtungen und damit zusammenhängender Fenster-Zählungen und schlichter Logik (»Kuck, ein blickdichter Vorhang, das muss das Schlafzimmer sein!«) herausgefunden. Dir war das egal, und ich glaube, du fandest mich ein bisschen anstrengend. Nun, es ist sein Schlafzimmer, ich weiß das, denn er hat eine neue Freundin. Seit einigen Tagen vögeln die beiden sich die verdammte Seele aus dem Leib. Jede Nacht von etwa null bis drei Uhr. Ich bin nicht neidisch, ich fühle mich nur wie ein unfreiwilliger Voyeur, und ich fühle mich wirklich von dem Lärm belästigt. Er ist so verblüffend laut, dass ich seit Tagen rätsele, ob die Wand, die unsere Schlafzimmer trennt, wirklich eine tragende aus Stein ist oder ob im Zuge der 90 er-Jahre-Sanierung die Wohnungen neu aufgeteilt wurden und mich nur Rigips von des Nachbarn neuer Leidenschaft trennt. Ich würde so gerne mal klopfen, um zu hören, ob es hohl klingt. Ich trau mich nur nicht.
    Mich überfordert ihr Sex wirklich sehr. Er ist so nah, und mir ist das viel zu intim, weil ich jeden Atemzug hören kann, jeder hirschähnliche Schrei klingt, als käme er aus unserer Wohnung, und dann hören sie auf und rauchen und kichern (darauf bin ich neidisch!) und lernen sich kennen, und dann ficken sie wieder, und es ist so nah!
    Vor ein paar Tagen bin ich von seinem Orgasmus aufgewacht! Das muss man sich mal vorstellen, ich bin hochgeschreckt, weil er gekommen ist wie ein Tier, das schlimme Schmerzen hat!

» W arum machen Leute das?« Meine Schwester Jana studiert Psychologie und stellt daher immer die richtigen Fragen.
    »Was?«
    »Klettern. In Hallen.«
    Flo ist verwirrt, dann wirkt er ein kleines bisschen verletzt. »Ich nehme an, weil es ihnen Spaß macht.«
    »Ja? Welcher Teil?«
    Jetzt will Flo Jana gerne hauen, glaube ich.
    »Nun, in erster Linie wegen der Auslastung, der sportlichen Betätigung, denke ich.«
    »Warum?«
    »Verarschst du mich, Jana?«
    »Florian, ich bin eine direkte Blutsverwandte deiner Freundin, glaubst du wirklich, dass wir beim Thema Bewegung scherzen? Warum gehen die Leute nicht einfach joggen, wenn sie sich unbedingt bewegen wollen? Weshalb kommen sie hierher, hängen sich an Seile und klettern an Kunstfelsen rum?«
    »Nun, als direkte Blutsverwandte von Luise sollte dir aber auch schnell aufkommende Langweile nicht fremd sein. Und das wiederum ist das Tolle am Klettern. Es ist abwechslungsreich und aufregend und … keine Ahnung … spannend!«
    Flo kriegt langsam eine rote Birne. Es nervt ihn, dass ich das Klettern und somit irgendwie seine Berufung langweilig finde. Von Jana hatte er sich augenscheinlich mehr erhofft und sie daher eingeladen. Jetzt ist sie da und wir hier in Flos Kletterhalle. Da ich mit dem Assistant Manager schlafe, dürfen wir umsonst klettern, eine Tatsache,
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