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Wach auf, wenn du dich traust

Wach auf, wenn du dich traust

Titel: Wach auf, wenn du dich traust
Autoren: Angela Mohr
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ihre Hände auf ihren Bauch. Er ist schon ein bisschen flacher geworden, dachte sie. Gut so.
    Die Stimme der Schwester unterbrach ihre Gedanken. »Da sind wir.« Sie hielt Debbie die Tür auf.
    Lassen Sie mich nicht alleine mit ihr, wollte Debbie sagen. Bitte!
    Als sie über die Schwelle trat, hielt sie sich unwillkürlich am Ärmel der Schwester fest. Sie sah ihre Begleiterin hilflos an, wagte nicht den Blick ins Innere. Die Schwester strich kurz über Deborahs Hand, dann schob sie sie ins Zimmer.
    Zwischen Drähten und Schläuchen, Maschinen und Verbänden lag Jennys Kopf. Er sah schrecklich winzig aus auf dem riesigen Kissen.
    »Kann sie – mich hören?«, flüsterte Deborah, als sie endlich ihre Stimme wiederfand.
    Die Schwester seufzte leise. »Im Grunde weiß man nicht viel übers Koma«, sagte sie. »Manche behaupten, Komapatienten bekämen überhaupt nichts mit. Andere sagen, alles. Wenn auch auf einer unbewussten Ebene. Eines ist jedenfalls erwiesen: Jemand, der im Koma von lieben Menschen umsorgt und besucht wird, hat bessere Heilungsaussichten und wird mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder aufwachen.«
    Die Schwester trat näher an Jennys Bett und bedeutete Deborah, ihr zu folgen.
    »Sieh her«, sagte sie und strich mit dem Finger vorsichtig über Jennys Arm. Die Haut kräuselte sich und die zarten Härchen an Jennys Unterarm stellten sich auf.
    Deborah schrie leise auf. Das war ja wie in einem Horrorfilm!
    »Man sagt, dass die Prognose dann am besten ist, wenn sie innerhalb von achtundvierzig Stunden aufwacht. Wenn nicht, wird sie vermutlich irreparable Folgeschäden davontragen. Ob der Schaden durch das Koma kommt oder das Koma selbst die Folge der Schädigung ist – darüber gehen die Meinungen auseinander.« Die Schwester machte eine kurze Pause. Debbie sah unwillkürlich auf die Uhr, die an der Wand über Jennys Bett hing. Sie rechnete im Kopf: Es war in der Nacht gewesen, als sie Jenny gefunden hatten. Drei, vier Uhr vielleicht. Jetzt war es acht Uhr am nächsten Tag. Noch zwanzig Stunden also. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
    »Man weiß nicht genau, wie man einen Menschen erreichen kann in diesem Zustand«, unterbrach die Schwester Debbies Gedanken. »Musik, Berührungen, Ansprache, all das kann helfen.« Sie drückte kurz Deborahs Schulter und lächelte sie an.
    »Ich lasse dich jetzt mit ihr allein. Wenn du was brauchst, komm einfach nach vorne.« Sie drehte sich um und ging Richtung Tür.
    »Und wenn sie nicht aufwacht?«, fragte Deborah schnell, um die Schwester noch ein wenig im Zimmer zu halten. Ihre Stimme klang schrill in ihren Ohren, so als wolle sie mit den Geräten um die Wette fiepen.
    Die Frau drehte sich noch einmal um und lächelte wieder. Die vielen Fältchen um ihre Augen zeugten von Erschöpfung. Sie sah Deborah lange an.
    »Ich arbeite lange genug auf der Intensivstation, um die Dinge etwas anders sehen zu können, als viele Ärzte es tun. Komapatienten wie Jenny sind in einem Zustand, in dem sie sich entscheiden müssen. Für uns oder für die andere Seite.«
    Irgendwie schien die Luft in dem Zimmer plötzlich sehr dünn zu werden. Die andere Seite – was bitte, hieß da andere Seite?
    Deborah japste, als würde sie nach einem langen Tauchgang wieder an die Wasseroberfläche stoßen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte.
    Die Schwester schwieg einen Moment.
    »Aber deine Freundin braucht einen Grund, um sich für unsere Seite zu entscheiden«, sagte sie dann. »Einen guten Grund.« Sie lächelte aufmunternd. Debbie nickte benommen.
    Dann drehte die Schwester sich um und ließ sie allein.

Jenny
    »Ist der nicht ein bisschen übertrieben?«, fragte Deborah und drehte sich in dem roten Zipfelrock hin und her, so gut es in der engen Umkleidekabine eben ging.
    »Wow«, rief Jenny, »der sieht super an dir aus, ehrlich! Ich wünschte, ich könnte so was anziehen!«
    Deborah besah sich noch einmal von vorn. Sie zupfte am Bund herum. »Ich weiß nicht, der ist doch schon ein bisschen nuttig, oder?«
    »Ich glaub’s nicht, Deb«, stöhnte Jenny, »du findest auch an allem was auszusetzen! Jetzt schau dich bitte noch mal an und dann sag mir, dass das nicht supersexy ist!«
    Gehorsam drehte sich Debbie zum Spiegel. Langsam legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Na also.
    »Jetzt brauchen wir bloß noch ein anderes Oberteil dazu«, sagte Jenny. »Das da ist ja wohl nix.«
    Deborah nickte und zerrte sich das olivgrüne Shirt über den Kopf. »Rot
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