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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
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ERSTES KAPITEL
    Eine Kijahma
    „Sihdi, es war doch immer wunderschön, wenn wir beide, auf unsern unvergleichlichen Pferden sitzend, so ganz allein, von keinem fremden Menschen begleitet, immer hinein in Allahs schöne Welt ritten, wohin es uns gefiel! Diese Welt gehörte uns, denn da wir keine Seele bei uns hatten, konnte niemand sie uns streitig machen. Wir taten, was wir wollten, und unterließen, was uns nicht gefiel; wir waren unsere eigenen Herren, denn wenn es jemanden gab, dem wir zu gehorchen hatten, so bestand dieser Jemand aus zwei Personen, nämlich aus mir und aus dir. Ich bin mir da oft als der Gebieter des ganzen Erdkreises vorgekommen und habe die unersteigbaren Höhen meines Ruhmes aus den Tiefen meines Selbstbewußtseins hervorgeholt, um in andachtsvoller Bewunderung an ihnen emporzuklimmen und dann fröhlich wieder herabzusteigen. Das konnte ich, weil wir allein waren und es also keinen unwillkommenen Störenfried gab, dem es einfallen konnte, ohne meine Erlaubnis und hinter meinen Rücken mit hinauf- und hinunterzuklettern. Ja, das war eine sehr, sehr schöne Zeit, in welcher wir erlebten, was kein anderer Mensch erlebt, und zwar nur deshalb, weil wir eben so allein waren und uns nur nach uns selbst zu richten brauchten. Ich sage dir, Sihdi, alle diese Taten und Begebenheiten sind rundum an den Wänden meiner inneren Seele aufgeschrieben und mit unvergänglichen Pflöcken in den Boden meines Gedächtnisses eingeschlagen, wie man Pferde, Kamele und lebhafte Ziegen an Pflöcke bindet, wenn man befürchtet, daß sie über Nacht den ihnen angewiesenen Ort mit einem andern vertauschen wollen.“
    Er machte eine Pause, um nach diesem langen Satze einmal ausgiebig Atem zu holen.
    Wer dieser ‚Er‘ war? Wer ihn noch nicht an seiner eigenartigen Ausdrucksweise erkannt hat, der mag weiter hören. Er fuhr nämlich sogleich fort:
    „Also ich denke noch mit Wonne an die Zeiten zurück, in denen wir uns nur nach uns selbst zu richten brauchten, denn da habe ich empfunden, daß der Mann der eigentliche und wirkliche Beherrscher seines Lebens und seines Daseins ist. Aber ebenso schön und in mancher Beziehung noch schöner ist es doch, wenn man einen Tachterwahn (Kamelsänfte für Frauen) bei sich hat, in welchem die holdselige Gebieterin des Frauenzeltes sitzt. Meinst du, daß ich da recht habe?“
    „Ob du da recht hast, kann doch ich nicht wissen, mein lieber Halef“, antwortete ich.
    „Wie? Das könntest du nicht wissen? Warum denn nicht?“
    „Weil in diesem Tachterwahn sich die Gebieterin nicht meines, sondern deines Frauenzeltes befindet und es also nur dir, aber nicht mir möglich ist, einen solchen Vergleich zwischen früher und heute anzustellen.“
    „Ja, richtig! Um meine Frage beantworten zu können, müßtest du deine Emmeh auch mitgenommen haben. Du kannst also gar nicht wissen, was für ein großer Unterschied darinnen liegt, ob man die liebliche Behüterin seines Glücks daheim gelassen oder ob man sie mitgenommen hat. Du hast mir einmal gesagt, wie das heilige Buch der Christen das richtige Verhältnis zwischen Mann und Weib erklärt. Kannst du dich darauf besinnen, Effendi?“
    „Ja.“
    „Du sagtest ungefähr: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, und zwar ein Männlein und ein Weiblein. Allah hat zweierlei Eigenschaften, nämlich die Eigenschaften der Allmacht, wozu die Ewigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit gehören, und die Eigenschaften der Liebe, welche sich auch in seiner Gnade, Langmut, Güte und Barmherzigkeit äußert. Wenn der Mensch, welcher aus zwei Wesen besteht, ein Bild Gottes zu sein hat, so soll also der Mann ein Bild der göttlichen Allmacht und die Frau ein Bild der göttlichen Liebe sein. Habe ich mir das nicht sehr gut gemerkt?“
    „Ziemlich richtig.“
    „Wenn auch nur ziemlich, für mich genügt es doch. Seit du mir diese Erklärung gegeben hast, bin ich stets bemüht gewesen, ein Bild von Allahs Allmacht zu sein. Du weißt, wie tapfer und umsichtig ich im Kampfe und wie weise, klug und gerecht ich in der Regierung meines Stammes bin. Diese eine Seite meines menschlichen Wesens läßt also wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Und die andere Seite, welche dort in der Sänfte sitzt und ihre freundlichen Augen unaufhörlich auf mich richtet, ist auch genau so, wie Allah sie wünscht, nämlich ein Bild der Liebe, die mir jeden Tag zur Wonne und jede Stunde zum Vergnügen macht. Und diese Spenderin des Glückes auch während der Reise bei sich haben zu können, das
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