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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
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ist eine Seligkeit, die mir auf unsern früheren Ritten leider versagt bleiben mußte. Ich habe gesagt, daß es früher schön war, und möchte aber behaupten, daß es jetzt fast noch schöner ist! Verstehst du mich nun?“
    „Ja.“
    „Hast du denn mit deiner Emmeh noch niemals eine Reise gemacht?“
    „O doch!“
    „Da hast du natürlich auf dem Pferde gesessen und sie im Tachterwahn?“
    „Nein. Tachterwahns gibt's bei uns nicht.“
    „Nicht? So hat sie frei auf dem Kamele gesessen?“
    „Auch nicht. Im Abendlande reist man nicht per Kamel, sondern in der Karrusa (Kutsche) oder in dem Katr (Bahnzug).“
    „Allah! Wer darf im Katr fahren?“
    „Jeder, der seinen Tiskri (Billet) bezahlt hat.“
    „Auch Frauen?“
    „Ja.“
    „Aber neben dem Weibe eines andern zu sitzen, das ist doch wohl sehr streng verboten?“
    „Nein.“
    „Unmöglich! Sihdi, sag' aufrichtig, ob du, nämlich du auch schon einmal im Katr neben einer Frau gesessen hast, welche in den Harem eines andern Mannes gehörte!“
    „Schon oft! Ich bin nicht nur mit fremden Frauen, sondern sogar mit fremden Töchtern gefahren.“
    „Und wie steht es mit deiner Emmeh, der jugendlich schönen Bewohnerin deines Frauenzeltes, hat die auch schon neben andern Männern sitzen müssen?“
    „Ja.“
    „So verderbe Allah eure Eisenbahnen bis in den allertiefsten Abgrund der Hölle hinab! Wenn nicht nur mein Weib, welches ich allein besitze, sondern auch alle meine Töchter, die ich glücklicherweise noch nicht habe, es sich gefallen lassen müssen, daß jeder fremde Stadtbewohner und jeder unbekannte Beduine sich im Katr an ihre Seite setzen darf, so mag ich von eurem Abendlande kein Wort weiter hören! Sihdi, du weißt, wie sehr ich dich liebe und wie hoch ich dich achte; aber nun ich weiß, daß du neben fremden Frauen und Töchtern gesessen hast, die nicht in deinem Zelte geboren worden sind, und daß du sogar auch deiner Emmeh erlaubst, mit Männern zu reisen, an welche sie kein Akd en Nikah (Zeremonie des Ehekontraktes) bindet, nun wird es mir wohl nicht mehr leicht sein, dich als meinen besten Freund, den ich im Herzen trage, mit Anerkennung zu beehren! Die Schienen eurer Eisenbahn haben sich zwischen mich und dich gelegt, und unsere Herzen sind einander so entfremdet worden, daß sie durch keinen Wabur (Lokomotive) wieder verbunden werden können. Ich lasse dich allein und gehe zu meiner Hanneh, um in meiner großen Betrübnis Trost bei ihr zu finden!“
    Wer meinen lieben, kleinen Halef kennt, dem kommt dieses Verhalten nicht fremd vor; für diejenigen, welche noch nichts über ihn gelesen haben, seien folgende kurze Bemerkungen bestimmt:
    Hadschi Halef Omar, jetzt der oberste Scheik der Haddedihn-Beduinen, vom großen Stamme der Schammar, war früher ein blutarmes Kerlchen gewesen. Er stammte aus der westlichen Sahara, hatte mich als mein Diener nach Osten begleitet und war da so glücklich gewesen, die Tochter eines Scheiks der Ateïbeh-Araber zur Frau zu bekommen. Dieser letztere wurde später von den Haddedihn zum Scheik gewählt und bekam, da er keinen Sohn hatte, meinen Halef als seinen Schwiegersohn zum Nachfolger.
    Dieser war von Person sehr klein und hager, dabei aber von ungewöhnlicher Tapferkeit und von einem Mute, der sehr gern verwegen wurde und darum von mir oft in die Zügel genommen werden mußte. Ein guter Schütze, auch sonst sehr waffengewandt, ausdauernd, körperkräftig, außerordentlich mäßig, ein vortrefflicher Reiter, pfiffig und mutterwitzig, besaß er ein treues, goldenes Herz, in welchem keine Spur von Falschheit entdeckt werden konnte. Früher war ich seine einzige Liebe gewesen; später mußte ich diese Liebe mit seinem Weibe und seinem Sohne teilen, wodurch mir aber kein Verlust geschah. Die Zärtlichkeit, mit welcher er an Hanneh, seiner Frau, hing, war nicht nur rührend, sondern fast beispiellos zu nennen. Sein erster Gedanke früh und sein letzter abends gehörten ihr. Es war ihm beinahe unmöglich, ihren Namen auszusprechen, ohne ihm einige der vorzüglichen Eigenschaften anzuhängen, welche sie in seinen Augen besaß. Kara Ben Halef, sein und ihr Sohn, ihr einziges Kind, zählte jetzt schon fast zwanzig Jahre, und die Frauen des Orients altern bekanntlich sehr schnell; aber dennoch war ‚meine Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Blüten des Blumenreiches‘, für ihn genau so jung und schön geblieben, wie er sie vor dieser langen Zeit bei ihrem ersten Zusammentreffen gesehen hatte; ja, seine
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