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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
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der Scheik sagte, und darum wunderten wir uns, als wir um die Mittagszeit auf eine Spur trafen, welche quer über die unsrige ging und nach einer Gegend lief, wo es mehrere Tagereisen weit keinen Brunnen gab. Die Stapfen deuteten auf drei Kamele und auf die Zeit von gestern. Als wir eine Viertelstunde geritten waren, kehrte diese Spur zurück. Da blieb Abd el Idrak halten und sagte:
    „Das ist auffällig! Wer so in die trockene Wüste reitet und so stracks wieder umkehrt, den kann nur ein ganz bestimmter Grund geführt haben. Und dieser Grund ist, daß es in der Einöde da einen verborgenen Brunnen gibt, den der, welcher ihn braucht, mit einem Fell und mit Sand bedeckt, damit ihn weiter niemand finde. So ein Wasser ist von größter Wichtigkeit, und ich schlage vor, wir reiten hin, um uns zu überzeugen. Weit fort von hier geht es ja nicht; das sieht man an den Spuren.“
    Halef zeigte ein bedenkliches Gesicht; nach der Ursache gefragt, antwortete er:
    „Mir will es nicht gefallen, daß es grad drei Kamele sind. Ich muß an den Ghani denken. Die Spur kommt aus der Gegend seines Weges. – Was sagst du dazu, Effendi?“
    „Ich bin deiner Ansicht“, stimmte ich bei. „Wir folgen der Fährte und zwar schnell! Wer weiß, was er vorgehabt hat, wenn er es gewesen ist. Etwas Gutes jedenfalls nicht!“
    Es ging nun also quer vom Wege ab, in die Wüste hinein, und zwar in viel schnellerem Tempo als bisher. Unsere Spannung wuchs, je weiter wir kamen. Es vergingen zwei Viertelstunden und auch fast noch die dritte; da sahen wir endlich einen Gegenstand, welcher mitten in der tiefsten Einsamkeit im Sand lag. Näher kommend, sahen wir, daß er sich bewegte, und als wir ihn erreichten, erscholl ein Schrei der Empörung aus aller Munde; es war ein Mensch; es war – – – der Blinde!
    Er lag abseits von dem Ende der Fährte. Er war gebunden, und wir sahen, daß er sich in seiner Todesangst von ihr fortgewälzt und immer weitergewunden hatte bis hierher, wo er nun lag. Er hatte die Augen geschlossen, ein Zeichen, daß er in diesem Augenblick geistesabwesend war. Seine Bewegungen, welche wir gesehen hatten, schienen unwillkürlich gewesen zu sein. Jetzt lag er still.
    Das war eine Tat von höchster Grausamkeit! Später erfuhren wir von ihm das Nähere. Der Ghani hatte ihn ausgefragt, wen er für den Dieb des Kanz el A'da halte.
    „Dich“, hatte er geantwortet. „Auch die Soldaten hast du mit gemordet. Aber ich bleibe trotzdem bei dir, denn du bist mein Wohltäter, den ich nicht verlassen darf.“
    Das war am Brunnen geschehen, ehe ich mit Halef hinkam. Der Ghani sah also in dem Münedschi einen Zeugen seiner Verbrechen, der ihn in Mekka verraten konnte, und den er darum unschädlich zu machen beschloß. Für einen direkten Mord zu feig, beschloß er, ihn in der Wüste auszusetzen, und führte diesen gräßlichen Vorsatz, wie wir nun sahen, aus.
    Wer hatte uns zu seiner Rettung hergeführt? Der Zufall? O nein! Oder der Weg, den wir ja doch zu reiten hatten? Auch nicht, denn der Scheik hatte über den Bir Nafad gewollt und erst gestern, als wir beschlossen, mit ihm zu gehen, sich für den heutigen, den kürzeren, wenn auch wasserlosen, entschlossen. Ich bin überzeugt, daß wir geführt worden waren!
    Wir flößten dem beklagenswerten Mann Wasser ein, welches ihn sichtlich erquickte, doch wachte er nicht dabei auf. Als wir ihn auf irgendwelche Verletzung untersuchten, fanden wir keine; er hatte einfach verschmachten sollen.
    „In Mekka, in Mekka!“ knirschte Halef. „Ghani, Ghani, für dich wäre es besser, du selbst wärest hier verhungert und verdurstet, als daß wir kommen, um dich in der heiligen Stadt in deinem Ruhm zu stören!“
    In ganz derselben Weise sprachen sich auch die andern aus. Ich aber sagte nichts, gar nichts. Ich fühlte keinen solchen Zorn, keinen Grimm wie sie; ich fühlte nichts als eine tiefe, tiefe Traurigkeit. Auswurf der Menschheit und Gottes Ebenbild, welche Stufen gibt es zwischen dieser Tiefe und dieser Höhe! Welche von ihnen ist's, auf der wir selber stehen?
    Der Blinde bekam das ruhigste Kamel und den besten Platz, den wir ihm schaffen konnten. Dann ritten wir zurück. Er bewegte sich nicht. Sein tief eingefallenes Gesicht war dasjenige eines Toten. Aber als wir die Stelle, an welcher wir abgebogen waren, erreichten und uns unserer ursprünglichen Richtung zukehrten, da hob er den Arm, deutete nach dort, wo wir ihn gefunden hatten und sagte in dem tiefen Ton Ben Nurs:
    „Schaut noch
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