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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
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wir auf ihr blieben. Schaut hinüber zu dem ‚Liebling des Großscherifs‘! Der alte Mann, der eng an seiner Seite sitzt, ist Abu Kurban, der Vater des Ermordeten, und der fast ebenso alte Krieger an der andern Seite ist der Oheim der drei Brüder, welche mit ermordet wurden. Es ist dunkel; darum könnt ihr nicht sehen, wie tief der Gram um den Verlust des einzigen Kindes sich in das Gesicht Abu Kurbans eingefressen hat, und wie sehr ihn der Gedanke quälte, daß diese Missetat von ihm im Buche der Rache noch zu durchstreichen sei. Als beide hörten, wen wir vor uns hatten, taten sie den Schwur, sich Blut für Blut zu nehmen, falls es ihnen gelingen sollte, sich von der Schuld zu überzeugen. Sie haben diesen Schwur gehalten, denn sie mußten es. Der Ghani hatte sich mit seinen Begleitern zwischen zwei niedrigen Ausläufern der Dünenwüste gelagert. Sie erschraken, als sie uns erblickten, denn wir waren über sie gekommen, ehe sie die Anwesenheit einer solch großen Schar nur ahnen konnten. Wir umringten sie. Wir sahen den Sohn des Ghani; er besaß die Verschiedenheit der Brauen, und so stand es fest, daß er und die drei andern es gewesen sind. Ich zögerte nicht, ihnen das Verbrechen sofort in die Gesichter zu werfen. Sie erbleichten vor Angst, leugneten aber. Da sahen wir einen Ring am Finger des Sohnes. Abu Kurban betrachtete ihn und tat einen Eid, daß er Ibn Kurbans Eigentum gewesen sei. Wir durchsuchten die Mörder und fanden die andern Ringe und Steine. Da glaubte einer der drei, er könne sich durch den Verrat der andern retten. Er erzählte, wie die Tat sich zugetragen hatte. Die vier Mörder hatten zunächst ohne das Wissen des Ghani gehandelt, ihm aber nach dem Mord gleich alles mitgeteilt. Auf seinen Rat waren sie dann nach El Kasab geritten, in dessen Nähe der Alte mit dem Münedschi auf sie wartete. Was hatten die Mörder verdient? Sag es mir, Scheik Hadschi Halef!“
    „Den Tod“, antwortete Halef.
    „Hättest du sie begnadigt?“
    „Nein.“
    „Trotz der Liebe, deren Kinder und Söhne ihr seid?“
    „Nicht nur trotz, sondern sogar infolge dieser Liebe. Du darfst ja nicht glauben, daß sie eine Beschützerin der Sünde sei. Kann sie nicht durch Güte wirken, so greift sie zur Rettung durch die Strenge. Sie ist nachsichtig und barmherzig, solange sie glauben darf, daß dies zum Ziele führt; zwingst du sie aber zum Gegenteile, so wird sie zur Mutter, welche ihr Kind straft, nicht obgleich, sondern weil sie es liebt!“
    Das hatte der Hadschi vortrefflich gesagt; aber weil er weggelassen hatte, was hier für diesen Fall die Hauptsache war, fügte ich hinzu:
    „Und hat sie ein Kind, welches auch der Strenge nicht gehorcht, so trennt sie es von den andern, damit diese nicht auch verderben. Das ist die Strafe des Todes, die hart erscheint, aber als Folge einer gebieterischen Ursache entspringt.“
    „Also auch du hättest für den Tod dieser Mörder gestimmt“, fragte mich der Scheik.
    „Ja.“
    „Aber ihr habt doch heute Mörder begnadigt!“
    „Sie standen uns nicht so nahe, daß die Rache unsere Pflicht gewesen wäre. Und, was wichtiger ist, es wurde uns der Befehl, Liebe walten zu lassen.“
    „Ja, ich weiß es, denn meine Späher haben es gehört und mir dann erzählt. Ben Nur sprach zu euch. Er hat dann auch zu mir, zu uns gesprochen.“
    „Vor dem Urteil?“
    „Nein, sondern nach der Vollstreckung desselben. Bis dahin war der Münedschi still, ganz so in sich versunken, wie er jetzt dort sitzt, als ob er schlafe. Desto mehr aber sprach der Ghani. Er schwor alle Himmel auf die Erde herab; er wollte Allah zwingen, die Lüge zu beglaubigen; er zog alles, was heilig ist, herbei auf seinen falschen Eid, und als er sah, daß diese Lästerungen keinen Erfolg hatten, wurde er zum Rasenden. Dieser verlorene Mensch hat nur sich selbst und seinen Sohn geliebt, aber nie ein anderes Wesen. Wir hörten das aus seinen verzweiflungsvollen Reden. Er hielt ihn fest; er umklammerte ihn, und als wir beide auseinanderrissen, heulte er auf wie ein Tier, verfluchte sich, verfluchte die Menschheit, verfluchte die Himmel und schwor, wenn sein Sohn schuldig sei, so wolle er die Schuld desselben auf sich nehmen und tragen in alle Ewigkeit. Das war so schrecklich, daß ein heiliger Grimm über mich, über uns alle kam. In diesem Zorn verurteilte ich ihn, den Sohn diese Nacht tragen zu müssen, um nur eine Ahnung davon zu bekommen, was es heiße, ihn und seine Schuld durch die endlose Nacht der Ewigkeit zu
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