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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
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Leute nur überwachte und sich nicht auch daran beteiligte, so hatte er Zeit, bei uns zu sein, und das nützte er so reichlich aus, daß er sich fast keinen Augenblick von uns entfernte. Gesprächsstoffe waren überreich vorhanden. Am meisten natürlich wurde über sein und unser Zusammentreffen mit den Beni Khalid gesprochen, und das brachte uns wieder und immer wieder auf den Münedschi, auf Ben Nur und auf die von ihm oder, um ausführlicher zu sein, von ihnen erhaltenen Lehren zurück. Der Scheik gehörte zu den nicht sehr zahlreichen Menschen, denen die Religion Herzenssache, ja die wichtigste Sache ihres Lebens ist. Auch davon abgesehen, daß er sich zum Islam bekannte, war er noch nicht auf den eigentlichen Grund davon gekommen, warum es grad so sein muß und nicht anders sein soll oder doch sein sollte, und nun hatte er hier von Ben Nur einen so wichtigen Fingerzeig bekommen, der ihn auf diesen Grund aller Gründe, die Liebe, aufmerksam machte. Er hatte sogleich und mit Feuereifer zugegriffen und fühlte sich von der entdeckten Neuheit, die doch so uralt ist, weil sie von Anfang war, so begeistert, daß er hunderte von Fragen hatte, deren Beantwortung selbst für einen, der diesen Stoff beherrschte, eine Kunst zu nennen war. Diese seine Entzückung riß auch uns mit sich fort, und so fragten und antworteten wir uns immer mehr ineinander hinein, bis wir, als wir am späten Abend endlich doch aufhören mußten, bemerkten, daß wir uns herzlich liebgewonnen hatten. Nicht nur seine innern Vorzüge, auch sein Äußeres, sein Petrusgesicht, hatten es mir angetan. Er fühlte diesen Zug der Herzen ebenso wie wir und sagte, indem er glücklich lächelte:
    „Es scheint ganz so zu sein, wie Hadschi Halef heut früh verkündigt hat: ‚Die Achtung ist euch geworden, und die Liebe ist auch schon unterwegs!‘ Ja, die Liebe, sie hat sich wirklich eingefunden, wenigstens was mich betrifft! Ich möchte so gern weiter fortschreiten in ihr, und bin so unbeholfen. Ich möchte sie gern so fest haben, daß sie mich nimmer wieder verlassen kann; ich möchte sie meinem ganzen Stamm verleihen und weiß doch nicht, wie ich das anzufangen habe; ich bin noch zu unerfahren und zu ungeschickt dazu. Ich brauche euch; ja, ja, ich brauche euch; ich muß euch noch haben, wenn auch nur für noch kurze Zeit! Und darum spreche ich die Bitte aus: Kommt für einige Tage mit uns! Seid unsere lieben, hochwillkommenen Gäste! Ich weiß, daß euch ein schnelles Nein auf den Lippen liegt; aber ich flehe euch an, es ja nicht auszusprechen! Ihr bringt Glück in unsere Zelte, und wer Glück spenden kann, der darf ja nicht unterlassen, es zu tun. Sagt also ja statt nein; ich bitte euch von Herzen!“
    Wir sahen einander an, und während wir uns so anschauten, ließ jeder ein vergnügtes Lachen hören. Und in dieses Lachen hinein ertönte Hannehs Stimme:
    „Wir nehmen die Einladung an; wir gehen mit; ich will die Frauenzelte der Beni Lam kennenlernen!“
    Da war das große Wort ja schon gesprochen! Wir waren nicht abgeneigt, die Bitte des Scheiks zu erfüllen, und hätten es wahrscheinlich nach einigen Wiederholungen derselben getan, aber da es eine solche Fürsprache gab, lachte Halef noch lauter als vorher, sprang auf und rief:
    „Oh, Hanneh, du Retterin aus der schwersten Not der Unentschlossenheit, gesegnet sei dein Wort! Nie schlage ich dir eine Bitte ab, auch diese nicht. Du sollst die Zelte kennenlernen, nach denen du dich sehnst!“
    Da bat Abd el Idrak den Hadschi um die Erlaubnis, zu Hanneh gehen und ihre Hand küssen zu dürfen.
    „Ja, küsse sie; sie hat's um dich verdient!“ antwortete Halef. „Küsse ihr auch die andere! Und wenn du dann noch weiterküssen willst, so habe auch ich zwei Hände, und auch die andern haben jeder deren zwei! Dann legen wir uns schlafen, denn wenn wir mit dir ziehen, ist der Weg des morgigen Tages sehr weit, und wir müssen sehr früh zum Aufbruch fertig sein!“
    So wendet sich der Weg des Menschen oft anders, als er denkt! Wir sollten später erfahren, daß dieser so rasch beschlossene Besuch bei den Beni Lam ein für uns nicht nur wichtiges, sondern, wie sich herausstellte, fast unvermeidliches Ereignis war. Und es kam noch etwas ganz Überraschendes dazu.
    Nämlich, als wir am andern Morgen aufbrachen, schlugen wir natürlich nicht den Weg nach der Aïn Bahrid ein, sondern den kürzesten, den es nach dem Gebiete der Beni Lam gab. Das war eine äußerst selten von einem Wanderer benützte Richtung, wie uns
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