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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi
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Der Advokat war zu Hause, und obwohl es nicht sein »Sprechtag« war, beeilte er sich doch, Nechludoff zu empfangen. Zuerst erzählte er ihm von dem Falle Mentschoff; er hatte die Akten studiert, und die Anklage war thatsächlich unhaltbar.
    »Die Sache ist aber doch ziemlich verwickelt,« fügte er hinzu. »Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Schenkwirt selbst seine Scheune in Flammen gesteckt, um die Versicherungsprämie zu erheben. Es liegt auch nicht ein Schatten von materiellen Beweisen vor. Die Verurteilung ist nur durch den Uebereifer des Untersuchungsrichters und die Nachlässigkeit des Staatsanwalts erfolgt. Doch das Uebel ist einmal geschehen, und die Sache wird schwer rückgängig zu machen sein. Gleichviel! Wenn man nur durchsetzt, daß der Fall von neuem zur Verhandlung kommt und zwar hier am Orte, so werde ich ihn ganz sicher gewinnen, ich werde sogar ohne Honorar plaidieren. Auch mit dieser Fedossja Wergunoff, von der Sie mir erzählten, habe ich mich beschäftigt. Hier ist ihr Gnadengesuch; wenn Sie wegen der Maslow nach St. Petersburg gehen, können Sie es mitnehmen und es selbst zur Annahme empfehlen. Verlassen wir uns nämlich auf den Verwaltungsweg, so wird das Dokument in den Bureaus liegen bleiben, und wir haben nur unsere Zeit verloren. Thun Sie Ihr Möglichstes, da die Sache Ihnen so sehr am Herzen liegt, um bei Personen Zugang zu finden, die in der Begnadigungskommission Einfluß haben. So! kann ich Ihnen sonst noch mit etwas dienlich sein?«
    »Ja! man hat mir erzählt...«
    »Haha! wie ich sehe, sind Sie das Sprachrohr für die Beschwerden des Gefängnisses geworden,« sagte der Advokat mit derbem Lachen. »Aber ich sage Ihnen im voraus, nie werden Sie damit zu Ende kommen, es sind zu viel!«
    »Nein! – aber das ist wirklich eine ganz ungeheuerliche Sache,« fuhr Nechludoff fort und wiederholte dem Advokaten eine Erzählung, die er vor zwei Tagen im Dorfe gehört.
    Ein gebildeter Bauer hatte das Evangelium vorgelesen und es seinen Genossen erklärt. Der Pope hatte darin ein Vergehen gesehen und ihn angezeigt. Es war eine Untersuchung eingeleitet worden, und der Staatsanwalt hatte eine Anklage erhoben, die das Zuchtpolizeigericht bestätigt hatte.
    »Ist das nicht fürchterlich?« fragte Nechludoff. »Ist das nicht ungeheuerlich?«
    »Was setzt Sie dabei so sehr in Erstaunen?«
    »Nun, alles! Oder vielmehr nein; ich verstehe das Verhalten des Popen und der Polizei, sie haben nur nach ihrer Vorschrift gehandelt. Doch dieser Staatsanwalt, der die Anklage erhoben hat, konnte doch andere Schlüsse ziehen; denn er ist doch schließlich ein gebildeter Mensch!«
    »Ach, man sieht, Sie kennen das nicht! Man bildet sich gewöhnlich ein, die Prokuratoren, die Staatsanwälte und alle Beamte im allgemeinen seien geistig gebildete, liberalen Ansichten zugängliche Leute. Ja, das waren sie früher, doch jetzt haben sich die Dinge stark geändert. Die Richter sind jetzt nur noch Beamte, die einzig und allein die Sorge um ihre Beförderung kümmert. Sie erheben ein Gehalt und wünschen sich ein höheres, darauf beschränken sich ihre Grundsätze! Sonst sind sie bereit, einen jeden anzuklagen, vor Gericht zu stellen und zu verurteilen!«
    »Aber es giebt doch schließlich Gesetze! Sie haben doch nicht das Recht, jemand zu verschicken, nur weil er mit seinen Freunden das Evangelium liest?«
    »Sie haben nicht nur das Recht, ihn zu verschicken, sondern ihn sogar zur Zwangsarbeit zu verurteilen, wenn sie die Laune anwandelt, zu erklären, dieser Mann habe sich bei der Erklärung des Evangeliums von der vorgeschriebenen Auslegung entfernt und die Kirche dadurch öffentlich beleidigt. Auf Beleidigung des orthodoxen Glaubens steht – Zwangsarbeit!«
    »Ist es möglich?«
    »Wie ich Ihnen sage. Ich sage den Richtern stets,« fuhr der Advokat fort, »ich könnte sie nie sehen, ohne eine tiefe Dankbarkeit für sie zu empfinden, denn wenn wir, ich und Sie und jeder andere, nicht im Gefängnis sitzen, so verdanken wir das nur ihrer Gefälligkeit.« »Aber wenn alles von der Laune des Staatsanwalts und anderer Personen abhängt, die dem Gesetze zu folgen oder nicht zu folgen brauchen, worin besteht dann die Autorität der Justiz?«
    Der Advokat beantwortete diese Frage mit einem fröhlichen Lachen:
    »Das sind Probleme, die Ihrer würdig sind! Doch das alles, werter Herr, gehört zur Philosophie! Wissen Sie, kommen Sie einmal Sonnabend abends zu uns! Sie werden bei uns Gelehrte, Schriftsteller, Künstler treffen.
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