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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin
Autoren: Carmen Korn
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keine Spökenkiekerei verfallen. Er hatte die Nase voll von seiner Hellseherei. Letztendlich hinkte er doch immer hinterher mit ihr.
    Imke Karle blieb in der Tür stehen, aus der sie gerade hatte rausgehen wollen. »Ich denke, Tanja war seine letzte Tat.«
    »Mögest du recht behalten«, sagte Lüttich.
    »Mach nicht wieder so lang. Du siehst müde aus.«
    Lüttich nickte. Es machte endlos müde, einen Mörder vor sich herlaufen zu sehen und nicht in der Lage zu sein, ihn zu fangen.

    Nur zwölf seiner achtzehn Sänger waren heute Abend da. Auch Nils fehlte. Hoffentlich hatte Hardy nicht schon eine Epidemie ausgelöst. Der Chorleiter verteilte die Notenblätter der Adventslieder und räusperte sich. »Wir stellen unser Schubert-Projekt hintan«, sagte er, »da wir auch dem kirchlichen Jahr verpflichtet sind, werden wir das hier vorziehen.«
    Alle nickten. Sie stellten den Schwanengesang gern hintan.
    »Ich habe heute einen Krankenbesuch bei Hardy Diderot gemacht.«
    Sie blickten erwartungsvoll zu ihm. Auch Gesa Ansorge. Vielleicht war sie doch nicht bei Hardy gewesen.
    »Ich habe ihm etwas gegen seine Heiserkeit gebracht. Pastillen aus irischem Moos. Das kann ich jedem Sänger empfehlen. Doch ich habe auf Hardys Brust auch die Anzeichen einer Kinderkrankheit gesehen. Ich hoffe, ihr habt, Sie haben alle schon die Windpocken überstanden. Unser erster Auftritt ist der erste Advent am kommenden Sonntag.«
    Sie schwiegen. Vielleicht hatten sie tatsächlich alle diese Krankheit gehabt. Er selbst konnte sich nicht erinnern.
    »Erst einmal ein leichtes mi ma mi mo«, wechselte er das Thema. »Summen muss es in den Lippen, als seien sie von einer Brennnessel berührt.«
    »Mi ma mi mo«, sang der Chor.
    Gesa Ansorge dachte, dass sie die Windpocken nicht gehabt hatte. Auch Theo hatte sie versäumt. Doch es beunruhigte seine Mutter nicht. Sie wusste, dass es winzige wulstige Narben waren, die Hardys Brust bedeckten.

    Leni lachte, als der Weihnachtsmann in seinem Schlitten einige Meter über ihren Köpfen durch den Himmel fuhr und »Rudolph, the rednosed reindeer« aus den Lautsprechern klang. Doch Lenis Augen leuchteten nicht dabei. Sie lachte und sah traurig aus.
    »Ich hab euch lieb«, sagte sie nach dem zweiten Glühwein.
    Das Rathaus im Hintergrund. Die Alster ganz nah. Der Weihnachtsmann mit seinen Rentieren oben im dunklen Hamburger Himmel.
    Sie drängten sich durch die Spielzeuggasse und sahen Stofftiere, Puppen, Trommeln, Kasperlefiguren. Sie aßen Thüringer Würste und im Fett gebackene Poffertjes. Sie gingen durch die Gasse der Handwerker.
    »Die will ich haben«, sagte Leni.
    Theos und Luckys Augen folgten ihrem Blick und sahen den Stand mit den Fellstiefeln. Helles raues Wildleder mit Stulpen aus künstlichem Fell.
    »Tu’s nicht«, sagte Theo.
    Auch Lucky erinnerte sich dunkel, dass diese Stiefel mit einem Unheil zusammenhingen. Doch ihm fiel der Zusammenhang nicht ein.
    »Ich will sie haben«, sagte Leni.
    Die Frau hinter dem Stand fragte nach der Größe.
    Leni probierte sie in achtunddreißig an und stützte sich dabei auf Theos Schulter ab. Die Stiefel passten ihr.
    »Kauf sie nicht«, bat Theo.
    Leni und die Stiefelfrau funkelten ihn an.
    »Sei kein Spielverderber«, sagte Leni.
    »Warum gefallen Ihnen die Stiefel nicht?«, fragte die Frau.
    Weil solche Stiefel an den Füßen eines ermordeten Mädchens waren, dachte Theo. Doch er schwieg.
    Leni zog ihre kleine feine Geldbörse hervor und bezahlte.
    »Versprich mir, dass du die Stiefel nur anziehst, wenn Lucky und ich dabei sind«, sagte Theo, »oder dein Vater.«
    »Du spinnst«, sagte Leni.
    Da erst fiel Lucky ein, dass er vor Monaten von solchen Stiefeln in der Zeitung gelesen hatte.

    Den Zettel mit den groß geschriebenen Zahlen seiner Telefonnummer nahmen Hardys Eltern selten in die Hand. Er lag auf dem Tresen in der Küche neben ihren Tablettenboxen, in denen sich alle Farben in den Fächern des jeweiligen Wochentags fanden. Leni hätte ihre Freude daran gehabt.
    »Du warst am Montag nicht da«, sagte sein Vater ins Telefon.
    »Ich war krank, Vater. Darüber haben wir doch schon gesprochen.«
    »Du bist jetzt auch nicht da.«
    »Ich komme morgen. Heute ist erst Mittwoch.«
    »Deine Mutter hat sich übergeben. Es riecht übel.«
    »Könnt ihr es nicht ausnahmsweise selbst aufwischen? Ich bin noch nicht ganz gesund«, sagte Hardy, »du hörst doch, dass ich heiser bin.« Seine Mutter hatte sich nun schon das vierte Mal übergeben. Ein Rätsel für den
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