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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
Autoren: Thomas Wieczorek
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Ein Gespenst geht um in Deutschland
    Die
Süddeutsche Zeitung
spricht von einer »Protest-Demokratie« [1] , der
Spiegel
von einer »Barrikadenrepublik Deutschland« [2] , wieder andere warnen vor einer »Dagegen-Republik« [3] , die Abteilung »Irre lustiger Vorspann« von
hart aber fair
verfällt auf »Deutschland 21  – Land der Schlichter und Stänkerer?« [4] , und die Gesellschaft für deutsche Sprache kürt »Wutbürger« zum Wort des Jahres 2010 . Diese abwertend-überhebliche Kennzeichnung, die außer seinem Erfinder, dem
Spiegel
-Angestellten Dirk Kurbjuweit [5] , so gut wie niemand benutzt, soll jeden aktiven kritischen Bürger in die Nähe des Hysteriker-Darstellers Louis de Funès oder des legendären cholerischen HB -Männchens rücken. Aber das ist ein alter Hut: Je gefährlicher Trends oder Bewegungen den Herrschenden erscheinen, desto unflätiger die Wortwahl, desto zügelloser die Hetze – nun also gegenüber den rebellischen Deutschen.
    Was denn: Die Deutschen und Widerstand? Passt das nicht zusammen wie die Malediven mit Rasterfahndung? Sind die Deutschen nicht eher ein Volk der Untertanen, Duckmäuser und Denunzianten, das sich mit egal welcher Obrigkeit schnell und bereitwillig arrangierte, das selbst zum Sturz der NS -Diktatur fremder Hilfe bedurfte und das man zur Zivilcourage – worunter man den in anderen Ländern selbstverständlichen Mut zum Einschreiten gegen Unrecht versteht – erst mit Kampagnen auffordern und mit Preisen ködern muss?
    So meint man, dabei haben die Deutschen durchaus eine Geschichte des Widerstandes. Im Dritten Reich waren es zwar beschämend wenige – und von denen wollten viele lediglich einen NS -Staat ohne die Person Hitler –, aber es gab sie. Recht aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch ein Blick auf die gescheiterten Aufstände wie etwa die Bauernkriege ( 15 .bis 17 . Jahrhundert) oder den schlesischen Weberaufstand von 1844 . Eine Ausnahme bildet die Märzrevolution von 1848 / 49 als Beginn der Deutschen Revolution, ausgelöst durch die erfolgreiche französische Februarrevolution. [6]
    Nahezu ohne Gegenwehr der bis dahin Herrschenden bildeten die deutschen Einzelstaaten liberale »Reformministerien«. Als Erfolge der Märzrevolution gelten die Einführung des konstitutionellen Regierungssystems, der Pressefreiheit, der Schwurgerichte sowie die Vorbereitung von Wahlen zu einem deutschen Nationalparlament. [7] Eine bürgerlich-demokratische Verfassung konnte aber erst 1919 nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs als Ergebnis des Ersten Weltkriegs durchgesetzt werden. Den widersprüchlichen Verlauf der Märzrevolution schildert der Lyriker Ferdinand Freiligrath 1848 in einem vertonten Gedicht, das noch heute zum Standardliedgut »linker« Bewegungen zählt.
    Trotz alledem
    Das war ’ne heiße Märzenzeit,
    Trotz Regen, Schnee und alledem.
    Nun aber, da es Blüten schneit,
    Nun ist es kalt, trotz alledem!
    Trotz alledem und alledem –
    Trotz Wien, Berlin und alledem –
    Ein schnöder scharfer Winterwind
    Durchfröstelt uns trotz alledem!
    Das ist der Wind der Reaktion
    Mit Meltau, Reif und alledem!
    Das ist die Bourgeoisie am Thron –
    Der dennoch steht, trotz alledem!
    Trotz alledem und alledem,
    Trotz Blutschuld, Trug und alledem –
    Er steht noch und er hudelt uns
    Wie früher fast, trotz alledem!
    Die Waffen, die der Sieg uns gab,
    Der Sieg des Rechts trotz alledem,
    Die nimmt man sacht uns wieder ab,
    Samt Kraut und Lot und alledem!
    Trotz alledem und alledem,
    Trotz Parlament und alledem –
    Wir werden unsre Büchsen los,
    Soldatenwild trotz alledem!
    Doch sind wir frisch und wohlgemut,
    Und zagen nicht trotz alledem!
    In tiefer Brust des Zornes Glut,
    Die hält uns warm trotz alledem!
    Trotz alledem und alledem,
    Es gilt uns gleich trotz alledem!
    Wir schütteln uns: Ein garst’ger Wind,
    Doch weiter nichts trotz alledem!
    Denn ob der Reichstag sich blamiert
    Professorhaft, trotz alledem!
    Und ob der Teufel reagiert
    Mit Huf und Horn und alledem –
    Trotz alledem und alledem,
    Trotz Dummheit, List und alledem,
    Wir wissen doch: die Menschlichkeit
    Behält den Sieg trotz alledem! …
    Nur, was zerfällt, vertratet ihr!
    Seid Kasten nur, trotz alledem!
    Wir sind das Volk, die Menschheit wir,
    Sind ewig drum, trotz alledem!
    Trotz alledem und alledem:
    So kommt denn an, trotz alledem!
    Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht –
    Unser die Welt trotz alledem!
    Obwohl die Märzrevolution dem Volk nur einen halben Sieg
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