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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin
Autoren: Carmen Korn
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Vaterwelt.
    Bunsen nickte. »Das stimmt. Jan ging da ganz mit der Zeit. Doch das war es nicht nur. Wollt ihr einen Tee?«
    Theo hatte den Eindruck, dass der alte Arzt diese Unterbrechung suchte, um sich zu sammeln. Er folgte ihm in die Küche und stellte drei Tassen auf ein Tablett. Ein Kännchen Milch. Zucker.
    Bunsen goss das schon heiße Wasser aus dem Kessel in die Kanne, in der bereits ein gefülltes Tee-Ei hing. Vermutlich hatten sie ihn mit ihrem Klingeln beim Teekochen gestört.
    Theo trug das Tablett in das Sprechzimmer. Bunsen brachte die Kanne. Lucky saß kopfschüttelnd mit dem Bild in der Hand da.
    »Am Anfang seiner Pubertät hat Jan ausgesehen wie ein Mädchen«, sagte Bunsen, nachdem er den Tee eingegossen hatte. »Ich habe kurz geglaubt, dass er im falschen Körper wohnt. Doch das war Unsinn. Ein paar Jahre später wurde Jan betont männlich und ist dann ja auch zur Marine gegangen und später zur See gefahren.«
    »Hat es zu Jans Mädchenphase gehört, dass er sich so viel mit dem kleinen Jungen beschäftigt hat?«, fragte Theo.
    Bunsen nahm einen vorsichtigen Schluck von dem heißen Tee. Die Tasse zitterte in seiner Hand. »Ja«, sagte er, »so sehe ich das noch heute. Es ist ungewöhnlich für einen pubertierenden Jungen, sich so viel mit einem Vierjährigen zu beschäftigen. Ich habe dir schon erzählt, Theo, dass Rickie ein Satansbraten sein konnte, der den Jan viel gehänselt hat. Doch Jan hatte eine Engelsgeduld. Bis die leider ins Gegenteil umschlug und er das Unfassbare getan und den Kleinen mitten im Winter in unserem Wald vergraben hat.«
    »Wer hat ihn eigentlich gefunden?«, fragte Theo.
    »Ich«, sagte Bunsen. »Hier im Ort hatten sich schnell ein paar Leute zusammengefunden, die eine Suche organisierten. Gleichzeitig war die Polizei eingeschaltet worden. Ich war mit einem Nachbarn der Cassens im Wald. Wir haben uns dann getrennt. Ich bin beinah in die Grube hineingestolpert. Der Kleine hat schon keinen Laut mehr von sich gegeben. Er war vor Schreck erstarrt und hatte auf den Schultern und an der Brust tiefe Bisse von irgendwelchen Nagetieren.«
    »O Gott«, sagte Lucky. »Glauben Sie, dass Jan Ellerbek noch lebt und zurückgekommen ist?«
    Bunsen hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    »Ich glaube, Rickie ist zurückgekommen«, sagte Theo leise.
    Der alte Arzt nickte. »Das glaube ich auch.«

    Hardy trug Jeans, einen dicken Pullover und alte Lederhandschuhe, als er am späten Sonntagnachmittag zu dem Müllcontainer hinter der Stadtgrenze fuhr. Der einsam stehende Container hatte schon eine ganze Zeit lang ein kaputtes Schloss.
    Hardy entsorgte dort manches aus dem Besitz seiner Eltern, das sein Vater ihm mitgab, als sei der Sohn die Müllabfuhr.
    Die beiden alten Läufer mit dem billigen orientalischen Druck und den Mottenlöchern warf er als Erstes in den Container. Danach kamen zwei Sofakissen mit Füllung, die schon muffelten, und ein Matratzenschoner mit großen gelben Flecken. Das alte Federbett tat er als Letztes hinein. Nun war der Kofferraum des Passat Variant jungfräulich leer.
    Er stieg in das Auto und stellte die Heizung hoch. Es war kalt geworden.
    Sein Handy klingelte, gerade als er losfahren wollte. Hardy seufzte, als er den Namen auf dem Display sah. Die Abstände zwischen den Anrufen seines Vaters wurden deutlich kürzer.
    »Vater«, sagte er.
    »Bist du ein Dieb?«, fragte sein Vater.
    Hardy schnappte nach Atem. »Ich bin euer Müllmann«, sagte er.
    »Deine Mutter ist außer sich. Sie vermisst ihren Pelzhut.«
    »Guckt doch mal hinter Mutters Handtaschen nach.«
    Hardys Herz hatte zu rasen angefangen. Er wusste, dass der Hut nicht hinter den Handtaschen lag. Er hätte ihn nicht nehmen dürfen, doch es war so verlockend gewesen. Sie hatte ihn nie mehr getragen.
    »Was will sie mit dem Hut? Sie hat ihn seit Jahrzehnten nicht angehabt.«
    »Deine Mutter und ich haben den Hut in der Zeitung gesehen«, sagte sein Vater. Sein Ton war von Eiseskälte. »Die Zeitung lag unten in dem Beutel mit den Apfelsinen, die du gebracht hast.«
    Hardy hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Ihm wurde heiß.
    »Hast du uns etwas zu sagen, Richard?«
    Hardy drückte auf die Austaste und warf das Handy nach hinten.

    »Ich muss ganz kurz weg, Lenchen«, hatte Pa gesagt, »ich bin gleich wieder bei dir. Ich will nur noch Post zu dem Kasten mit der späten Leerung bringen.«
    Der Kasten mit der späten Leerung war im Nachbarort. Leni hörte ihren Vater mit dem Jaguar losfahren und
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