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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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Schwermuth würde es genau wissen. Sie, unsere Chronistin, Archivarin, auch Kräuterfrau, findet ebenfalls keinen Schlaf. Eine Schüssel Mini-Karotten auf dem Schoß guckt sie Buffy – The Vampire Slayer , die sechste Folge, ohne Unterbrechung. Das Fest und das Drumherum verlangen ihr einiges ab: Frau Schwermuth hält viele Fäden in der Hand.
    Das Mädchen jagt den Bruder um die Öfen. Anna, nennen wir sie Anna. Die Öfen wurden unlängst aus dem Dorf vor die Mauer verlegt. Zu häufig hatte das Feuer Funken geboren und Funken wieder Feuer, das wie alles Neugeborene hungrig war und fressen wollte, Scheunen und Ställe schluckte, zwei ganze Gehöfte – wobei, das mit dem Riedershof, das, sagen die Leute, hatte mit den Öfen nichts zu tun. Mit dem Teufel hatte das zu tun, mit dem die Rieders im Bunde standen, und der Teufel hatte sich bloß eine Rate für die Zusammenarbeit ausgezahlt.
    Die Mutter kehrt mit einem feuchten Reisigbündel die Glut aus und legt die Laibe hinein, behutsam, als bette sie ein Kind. Auf die Brote und auf den Flachs achten sollen die Kinder, mahnt sie, es wäre nicht das erste Mal, dass jemand sich an dem, was ihm nicht gehört, bedient. »Lauft uns holen, wenn ihr Fremde kommen seht.«
    Lassen wir das Bild so stehen: Der Bruder kämmt Annas blondes Haar mit den Fingern. Das Mädchen stellt sich näher an den Ofen, hält die Handflächen zum Wärmen vor die Lade. Die Mutter macht sich auf den Weg ins Dorf, sie summt ein Lied.
    Anna, unsere Anna, hat eine ähnliche Melodie auf den Lippen. Sie zittert, die Nacht ist kühl.
    Komm, wir nehmen dich mit. Zu deiner Namensvetterin, zu den Menschen, zum Tier. Zur Fähe, zu Schramm. In den Lebenshunger, in die Lebensmüdigkeit. Zu Kranz, zu Schwermuth. Zum Brotgeruch und Kriegsgestank. In die Rache und in die Liebe. Zu den Riesen, den Hexen, zu den Braven, den Narren. Wir sind zuversichtlich, du wirst eine passable Heldin geben.
    Wir sind traurig, wir sind froh, richten wir, richten wir es an.

HERR GÖLOW SPENDIERT SECHS SCHWEINE FÜR DAS FEST . Von den sechs überlebt eins. Die Kita besichtigt morgen früh die Anlage, anschließend begnadigen die Kinder ein Schwein.
    Wobei, was heißt begnadigen?
    Die Spieße für die verbleibenden fünf werden hinter dem Scheiterhaufen aufgestellt. Die Kinder dürfen kurbeln, so was bringt ja auch Freude.
    Gut Gölow. Zuchtbetrieb. Produktpalette: Honig und Schweinefleisch.
    Wenn im Sommer geschlachtet wird, in der Hitze, die alle Geräusche lauter macht, hörst du das Geschrei der Schweine kilometerweit. Vielen Badegästen ist das unangenehm. Einige wenige kennen das Geräusch nicht. Sie fragen nach, und dann ist es auch ihnen unangenehm, das Geräusch, aber auch, dass sie gefragt haben. Für uns sind die sterbenden Schweine kein Problem, die sterbenden Schweine sind das bisschen Industrie.
    Olaf Gölow läuft über den Hof. Barbara und die Jungs schlafen. Auch Gölow hatte sich hingelegt, aber seine Gedanken zogen weiter ihre Kreise: um Barbaras anstehende Operation, um das Fest, um Fährmanns Tod, um die Holländer, die sich wieder erkundigt haben, wie es so stehe mit der Anlage.
    Gölow ist aufgestanden, vorsichtig, um Barbara nicht zu wecken. Jetzt ist er beim Stall, bei der klimatisierten Süße seiner Schweine, ihrem schläfrigen Grunzen. Er steckt sich eine an, atmet den Rauch weg von den Schweinen, dreht am Lüftungsregler.
    Gölow ist so ein Mann, du würdest sagen, eine ehrliche Haut. Es sind so Augenblicke, zum Beispiel lag da mal an einem verregneten Tag was im Matsch vor dem Stall. Es sind so körperliche Eigenarten des Bückens, vielleicht lösen die einen Reflex aus, sein könnte es schon, einen alten Reflex, dass du denkst, da dient einer, so wie er sich bückt. Es sind so Augenblicke, da liegt also was im Matsch, ein Gegenstand, und Gölow bückt sich – breitschultrig, Latzhose, links ein goldener Ohrring – und hebt es auf. Und wie er sich damit Zeit nimmt trotz Regen, wie er es sich aus großer Nähe ansieht und dabei ein wenig schielt, das ist eine so selbstvergessene Geste: Was liegt hier bei meinen Schweinen, was ist denn das, ist das ein Goldklumpen, ist das ein Stift, ein Stift ist das, warum liegt der hier – so jemandem sehen wir gern zu, wir stellen uns vor, er ist gut zu seinen Kindern und gerecht, wenn er den schmutzigen Stift jetzt auch noch auf die Hand drückt, eine Schleife zieht, um zu gucken, ob er geht, und er geht, und Gölow steckt ihn ein, und später fragt er sie alle,
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