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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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Jürgen, Matze, den stummen Suzi, vermisst einer von euch eigentlich einen Stift?
    Oder auch: Der Fährmann hat Gölow Geld geschuldet. Nicht viel. Nicht viel für Gölow. Vermutlich viel für den Fährmann. Und Gölow geht hin und kauft ihm einen Sarg. Er kauft ausdrücklich einen bequemen Sarg. Er recherchiert im Internet zwei Nächte lang, Barbara wird ungeduldig: Warum bequem, was macht das noch für einen Unterschied? Gölow sagt, der Fährmann hatte einen kaputten Rücken. Das seien so Bewegungen beim Rudern, beim Seilanziehen, ganz egal, ob du die jahrelang richtig oder falsch ausgeführt hast, am Ende brauchst du einen bequemen Sarg.
    Den Fährmann hat Gölow seit eigentlich immer gekannt. Ein alter Mann, so lange Gölow zurückdenken kann. Er fuhr mit ihm zuletzt mehrmals raus, nahm die Jungs mit. Die sind endlich in dem Alter, dass du ihnen auch was Hartes erzählen darfst, ohne dass es gleich Geflenne gibt, und das konnte der Fährmann eins a – erschüttern. Kinder lieben Erschütterung.
    Gölow drückt die Zigarette aus. Er raucht ungern und viel. Vorn in der Latzhose immer das Metallkästchen, der mobile Aschenbecher, Alaska-Logo auf dem Deckel. Er spaziert an den Pferchen entlang. Notiert, Gölow notiert. Mit dem einen Stift aus dem Matsch. Wir vertrauen darauf, dass er die besten sechs Schweine aussucht. Obama verschont immer einen Truthahn vor Thanksgiving.
    Den mag Gölow nicht so, den Obama. Dampfplauderer. Von denen allen mochte er nur Clinton irgendwie. Dem haben sie mal einen Brief geschickt. Die Jugos, Barbara und er. ’95 war das. Ein Bosnier und ein Serbe waren bei ihm angestellt, er hatte keine Ahnung, was der Unterschied genau war. Und dann hat er erfahren, dass die es auch nicht wirklich wussten. Den Krieg haben sie beide verdammt. Ein Mal nur ging es um die Schuldfrage, weil es ein Mal halt immer bei allen Dingen um die Schuldfrage geht, aber das haben sie friedlich gelöst und danach beschlossen, nur noch deutsche Nachrichten zu gucken, weil da seien alle gleich schuld, nur die Deutschen nicht – die dürften sich für die nächsten tausend Jahre keine Schuld mehr leisten, und damit konnten beide leben.
    Zu Hause waren die beiden Schweinebauer gewesen und wussten eine Menge über Schweinehaltung. Jedenfalls hatten sie das beim Vorstellungsgespräch behauptet. Bald genug hat Gölow festgestellt, dass die keine Ahnung hatten, aber die Bezahlung war ihnen recht, und Gölow konnte damals nur soundsoviel zahlen. Schwarz. Klar, schwarz, sonst wäre es gar nicht gegangen, auch wegen dem Visum. Duldung hieß das, die wurden hier geduldet.
    Seit Jahren hat Gölow an die beiden nicht gedacht, so eine Nacht ist das.Jedenfalls, der Brief an Clinton. Gerade waren die ganzen Grausamkeiten rausgekommen, die Massengräber, die Lager. Und der Serbe hat dann gesagt, die müssen uns, die Serben, bomben. Wenn die immer nur drohen, hört das nie auf. Nur nicht die Zivilisten. Zerbombte Zivilisten mag niemand. Der Bosnier hatte an der Idee nichts auszusetzen. Ja, und da hat Gölow vorgeschlagen, schreiben wir doch einen Brief an den Präsidenten. Fanden beide sofort gut, obwohl es ein Witz war. Der Serbe hat diktiert, der Bosnier konnte besser Deutsch und hat übersetzt, Gölow hat dann versucht zu erraten, was gemeint war, und Barbara hat das auf Englisch aufgeschrieben. Ging bis spät in die Nacht, am Ende wurde umarmt und geweint und der Brief eingeworfen, adressiert an das Weiße Haus. Als Absender hat der Serbe seine Adresse vor der Flucht aufgeschrieben, um der Bitte Nachdruck zu verleihen. Am nächsten Tag meinte er, dass das wohl ein Fehler war, weil wenn die sehen, dass da ein Serbe schreibt, sprengen sie das Teil sofort.
    Gölow glaubt nicht, dass der Brief gelesen wurde. Aber gebombt wurde bald, und dann war auch Ruhe.
    Uns war das nicht ganz recht gewesen mit den Jugoslawen. So kurz nach der Wende. Arbeitsmangel und Wut, und der stellt die ein. Soll jetzt nicht so klingen, wie es klingt. Das Dorf hat sich gewundert. Sein eigener Vater, der alte Gölow, früher selber Schweinezüchter, privat und kollektiv, hat sich gewundert. Alle hatten Gölow für jemanden gehalten, der lokal dachte. Vielleicht hat er zu lokal gedacht. An sich. Jetzt ist er allerdings da, wo er ist. Beschäftigt dreizehn Mann. Jetzt geht es Gölow mehrheitlich gut.
    Gölow im Büro. Die Luft immer wie alte Socken. Er legt den Zettel mit den sechs Nummern dem stummen Suzi ins Fach. Soll der Junge die morgen raustun, wenn die
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