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Vor dem Fest

Vor dem Fest

Titel: Vor dem Fest
Autoren: Saša Stanišic
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Kids kommen.
    An der Tür ein Poster von Alaska. Alles blau, blaue Berge, Himmel, Wasser, Eisbären. Gölow würde gern nach Alaska. Geld wäre nicht mal das Problem, aber finde mal Zeit. Auch wäre Barbara vielleicht – vielleicht wäre solch eine Reise für Barbara jetzt nicht gut.
    Eine Anlage in Alaska, das wäre doch was. Mit den heutigen Klimasystemen ginge sogar der Mond. Kajakfahren, Lachs angeln, und die schneebedeckten Berge spiegeln sich in allem, was spiegeln kann. Blau. Die blaue Abgeschiedenheit und Ruhe. Sehr schön alles. Schlittenhunde. Aber das ist es nicht, was Gölow anzieht. Kajakfahren geht bei uns auch. Gibt andere Spiegelungen. Schilf, gibt Schilfspiegelungen, und eine braune Abgeschiedenheit und Ruhe.
    Es ist das Gold. Die Goldgräberzeit. Die neuen Funde. Kürzlich erst in einem alten Goldgräberdorf namens Chicken. Was die Amis als alt bezeichnen, ist ja für unsereinen ein Witz. Chicken ist ausgestorben wie die Hoffnungen auf Wohlstand. Sieben Leute leben da, knappes Geisterdorf. Und dann findet ein Japaner zwanzig Unzen in der Gegend.
    Gölow als Goldgräber mit Hut am Klondike River. Er hat als Kind Jack London gelesen. Klar ist alles immer Kindheit. Der hatte nie etwas gefunden. Die Mieten und Lebenskosten sind viel höher als bei uns. Die Holländer haben Gölow eine halbe Million geboten. Zum Lesen kommt er schon lange nicht mehr.
    Wir beklagen die toten Tiere nicht.
    Wir klagen nicht über verpasste Chancen. Geisterchancen.
    Die Ärzte sagen, Barbaras Chancen stehen 50 : 50.
    Gölow macht das mit der Begnadigung vor dem Fest, seit er die Anlage übernommen hat, seit ’92. Das ausgewählte Schwein wird auch später nicht geschlachtet, es stirbt eines natürlichen Todes. Wobei, was heißt schon natürlich für ein Schwein, das zum Schlachten gezüchtet wurde? Eher stirbt es also eines unnatürlichen und unwahrscheinlichen Todes. Auch klingt Begnadigung, als wären Schweine Verbrecher. Das Gegenteil ist der Fall.Ein Tier, das weiß Olaf Gölow,ist immer unschuldig; die Gesetze der Natur kennen Strafe nicht.Amnestie vielleicht.
    Barbara hat mit der Perücke etwas von dieser Gouverneurin von Alaska. Auch haben beide fettige Haut. Gölow mag das – Barbaras Haut glänzt. Er begreift nicht, mischt sich aber nicht ein, warum sie es bekämpft. Überhaupt, warum glänzendes Haar als schön durchgeht, nicht aber glänzende Haut.
    Die Schweine schnarchen. Gölow hätte die Auktion morgen selbst gern geleitet. Wollten die aber nichts davon wissen im Kreativkomitee. Geklüngel alles. Seit Jahren ist sie in Zieschkes Hand. Der macht das zwar nicht besonders schlecht, doch die Witze … Charmant, ja charmant, aber auch zotig. Frauen, Politik. Kannst du privat vielleicht bringen, aber doch nicht vor Gästen! Die lachen dann kein gutes Lachen. Sie lachen das Lachen der Überlegenen. Das findet Gölow nicht gut. Diesen Humor findet er nicht gut.
    Und nur weil der das schon vor der Wende gemacht hat. Ist doch kein Argument. Warum muss alles Tradition sein? Gölow schafft dreizehn Arbeitsplätze, Zieschke zwei.Gölow bildet aus, Zieschke sammeltalte Brotrezepte.
    Gölow geht über den Hof, Hände in den Taschen. Die Nacht ist still, bis auf das Rumoren des Donners in der Ferne. Gölow stellt sich die Nächte in Alaska lautlos vor. Die Vorstellung allein hilft ihm manchmal in den Schlaf. Heute nicht.
    Wir freuen uns auf Olaf Gölows Auktionsbeitrag. Immer ist es etwas Überraschendes. Letztes Jahr hat er heimlich Mini-Schweine gezüchtet. Seine Jungs haben je eins gekriegt, aber eins hat er eben auch in die Auktion getan. So was Süßes, die Leute haben sich nicht mehr eingekriegt. 360 Euro und Applaus. Ging an einen Hotelbesitzer aus Feldberg. Unsereiner ist bei 100 ausgestiegen.
    Gölow will es Barbara vorschlagen: zwei Wochen Alaska. Er organisiert alles. Flug, gute Unterkünfte, einen Jeep mit Allradantrieb. Ein bisschen fahren, ein bisschen gucken, Lachs essen, Schlittenhunde füttern, Gold suchen.
    Gölow wird nicht verkaufen. Nicht so lange Barbara lebt. An Holländer schon mal gar nicht.
    Er schlüpft unter die Decke. Barbara atmet. Gölows Gedanken kreisen in eine blaue Lautlosigkeit, kreisen in den Schlaf.

UND HERR SCHRAMM , ehemaliger Oberstleutnant der NVA , dann Förster, jetzt Rentner und, weil das nicht reicht, schwarz, reibt die Münze über die Stelle am Zigarettenautomaten, wo andere vor ihm gerieben haben. Er riecht an seinen Fingern, seine Finger riechen nach lauwarmem
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